Bedingt durch die evolutionäre Entwicklung des Menschen spielt die Erscheinung des Gegenübers zur Wahrnehmung seiner oder ihrer Führungsqualitäten eine nicht unerhebliche Rolle. Vom, vereinfacht gesprochen, Aussehen, wird auf Attribute geschlossen, die mit Führerschaft in Verbindung gebracht werden. Eine neue Studie erweitert nun diese Betrachtungsweise auf die Person, mit der die oder der Führende gemeinsam auftritt. Gerade in unserer bildverliebten Zeit bieten sich hierfür zahlreiche Möglichkeiten. Leadership Insiders zeigt und erläutert, welchen Einfluss das Äußere von Partnerinnen und Partner von CEOs für die Wahrnehmung deren Führungsstärke spielen – ein Befund, der nicht nur auf dieser Ebene gelten dürfte.
Menschliche Erscheinung und die Zuschreibung von Führung
Konzentrieren wir uns heute allein auf Äußerlichkeiten. Die Evolutionspsychologie (vgl. mit Führungsbezug Weibler 2016) hat eine Begründung dafür gegeben, warum bei der Zuschreibung von Führung der Körper der Führenden immer eine wichtige Rolle gespielt hat (z.B. Van Vugt/Grabo 2015). Wenn wir auf die Anfänge menschlicher Gemeinschaften zurückblicken, denken wir uns diese in einer für uns recht unwirtlichen Gegend, die neben Intelligenz und Geschick durch Körperkraft gestaltet und bei Bedarf verteidigt wurde. Da Körperkraft mit Körpergröße korreliert, hatten diejenigen, deren Größe über dem Durchschnitt lag, in aller Regel (bei wissensbezogener Konstanthaltung anderer möglicher Faktoren) erst einmal einen Vorsprung, wenn die Frage beantwortet werden musste, wer die Gruppe denn führen sollte.
Schon früh hat die Führungsforschung darauf hingewiesen, dass Führungskräfte im Durchschnitt etwas größer als nicht Führungskräfte sind (Gmür/Aeschbacher weisen 2017 etwas mehr als 1 cm aus), auch wenn mit zunehmender kultureller und technischer Überformung der körperlichen Kraft kaum noch eine effektivere Problemlösung damit verbunden sein dürfte. Evolutionär sah das situativ bedingt gerade bei einer kürzeren Lebenserwartung, die nicht die Frage der langfristigen Gesundheit aufwirft, anders aus. Danach haben wir eine intuitive Neigung, im Zweifel körperlich größere Personen für eine Führungsaufgabe im Falle der Konstanthaltung alle anderen Bedingungen, zu denen auch unsere verfügbaren, insbesondere die eigentlich situationsrelevanten Information zur Person und Situation zählen, vorzuziehen.
Als eine eingängige Programmatik für solche und andere Überlegungen kann hier die schöne Formulierung des berühmten Primatenforschers Frans de Waal (2005, S. 9) gelten, die auch für die menschliche Spezies bei einigen Reizaufnahmen und gezeigten Verhaltensweisen nicht von der Hand zu weisen ist (ohne dass dies als eine Rechtfertigung für Fehlhandlungen anzuführen wäre, da sich parallel ja auch Regulationsmechanismen entwickelten und kulturelle Sozialisationspraktiken auf jeden im Hier und Jetzt einwirken):
„Man kann den Affen aus dem Urwald nehmen, aber nicht den Urwald aus dem Affen.“
Die Körpergröße ist allerdings nur ein augenfälliges Körpermerkmal. Spricht man vom Körper, so drängt normalerweise seine Erscheinung in den Vordergrund, die im ersten Zugriff als Attraktivität bezeichnet wird. Und hier ist es das Gesicht, auf das in den Forschungen häufig abgestellt wird. Empirische Studien haben die Wirkung des Gesichts als Attraktivitätsmerkmal und die damit verbundenen Folgen im Großen und Ganzen gut herausgestellt (Partner*innenerfolg, Häufigkeit des Angelächeltwerdens, Einkommen, Karriereerfolg und einiges mehr; vgl. z.B. Monk/Esposito/Lee 2021). Attraktivität wird auch mit der Einnahme von Führungspositionen unbewusst in Verbindung gebracht, ggf. über den Umweg „Kompetenz“ und „Dominanz“, die wiederum prototypisch, auch evolutionär, mit Führung assoziiert werden (vgl. z.B. Spisak u.a. 2012). Ohne näher auf den nicht unproblematischen Begriff der Attraktivität einzugehen, reicht es hier, Attraktivität durch eine Mehrheitsmeinung zu einem Zeitpunkt X bei einer Gemeinschaft Y bestimmt zu sehen.
Die jüngste Führungsforschung greift die Frage der Bedeutung des Körpers für die Zuerkennung von Führerschaft im Rahmen der ästhetischen Führungstheorie in den letzten Jahren intensiv auf (vgl. Taylor/Hansen 2005; Taylor 2014). Dort sind es natürlich vor allem integrativere Fragen zur Bedeutung des Körpers im Führungsgeschehen, die verhandelt werden.
Die Erscheinung des Partners bzw. der Partnerin und die Zuschreibung von Führung
Eine hochinteressante Bereicherung der Attraktivitätsdiskussion im Zusammenhang mit Führung liefern nun die an US-Universitäten forschenden Ipek Kocoglu und Murad MithaniI. In 2020 stellten sie die Frage, ob nicht möglicherweise auch die Attraktivität des Partners oder der Partnerin in der Beurteilung von Führung (Führungskompetenz, Führungsfähigkeiten, kurz: geeignet sein für Führungsaufgaben aus Sicht Dritter) eine Rolle spielen könnte. Dabei knüpfen sie an die Evolutionspsychologie an und verbinden sie mit der impliziten Führungstheorie, einer in der Führungsforschung weitverbreiteten Theorie. Letztere postuliert, dass die Zuschreibung, eine Person als „Führende“ oder „Führender“ für sich anzuerkennen, von einer (partiellen) Übereinstimmung der Wahrnehmung dieser Person mit eigenen Führungsbildern abhängt. Dieser Abgleich verläuft dabei vor allem unbewusst, manchmal jedoch auch in Form eines aktiven Reflexionsprozesses.
In ihrer Studie wählten sie zwei männliche und zwei weibliche CEOs aus der Fortune 500-Liste aus. Sie nehmen an, dass es eine Verbindung zwischen der empfundenen Attraktivität eines Gesichtes und der Wahrnehmung von Führung bei Dritten gibt und dass ein attraktiver Partner die Führungszuschreibung erhöhen würde. Des Weiteren postulierten sie, dass dieser Effekt für Männer stärker als für Frauen wäre. Hintergrundannahme ist dabei, dass eine attraktive Frau, die einen Mann als festen Partner auswählt – und unterstellt: viele andere Optionen hätte –, eine gute Gewährsfrau für das Vorhandensein von für Außenstehende verborgene Merkmale sei, die evolutionspsychologisch auf Ressourcen zur Absicherung der Verbindung und des Nachwuchses hinwiesen.
Im Besonderen: sozioökonomischer Status, Freigiebigkeit, Zielorientierung, Tapferkeit, Vertrauenswürdigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Treue und Gewissenhaftigkeit, Schutz; das seien aber gleichzeitig auch zahlreiche Merkmale, die bei vielen stark mit prototypischen Bildern mit einer verantwortungsbewussten Führungsperson korrespondierten. Hat hingegen ein weiblicher CEO einen attraktiven Partner an ihrer Seite, würde dies wenig über ihre verborgenen Führungsqualitäten im obigen Sinne aussagen, da für den Mann ihre Führungsqualitäten aus evolutionärer Sicht nicht oder zumindest weniger stark als kritische Ressourcen für die Wahl der Partnerin fungierten.
Die Prüfung der Hypothesen erfolgte über eine Experimentalstudie, die die allgemeine Führungsfähigkeit nach der variierenden Präsentation von Fotografien ebenso in Form einer Befragung einbezog wie implizite Führungsprototypen, z.B. Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit oder Dominanz. Ebenso wurde nach der Attraktivität des Gesichts gefragt sowie nach einer Reihe von Kontrollvariablen. Und in der Tat konnte festgestellt werden, dass Partner Dritte indirekt über nun vermutete, objektiv unsichtbare Führungsfähigkeiten informierten. Die Einschätzung der Attraktivität wird von den beiden Forschenden als eine soziale Heuristik bezeichnet. Eine Heuristik vereinfacht die komplexe Wirklichkeit, in dem nur ein einfaches Signal oder gegebenenfalls eine Kombination von wenigen Signalen zum Treffen einer Entscheidung herangezogen werden.
Allerdings verliefen diese Heuristiken nicht immer nur in eine Richtung. Nur bei Männern war es eindeutig so, dass eine attraktive Partnerin die Zuschreibung ihrer Führungsfähigkeit erhöhte. Eine vergleichsweise zu ihm unattraktive Partnerin hatte keinerlei Auswirkung auf die Einschätzung seiner Führungsfähigkeit.
Eine Frau, die nach Einschätzung der Teilnehmenden einen attraktiveren Mann als sie selbst es verkörpert an ihrer Seite hatte, wurde hingegen für diese Wahl „bestraft“. Die Einschätzung ihrer Führungsstärke nahm nun ab – und zwar stärker, als der Mann im anderen Fall gewinnt. Im Glanz des attraktiven Partners wurde sie vergleichsweise stärker mit einer Geführtenrolle assoziiert, was sofort ihre Führungsrolle unterminierte, da das Geschlechterstereotyp „think follower – think female“ aktiviert wurde. Wurde ihr Partner hingegen signifikant weniger attraktiv als sie selbst eingeschätzt, sprachen ihr die Befragten Dominanz und Kompetenz zu.
Evolution und Gender
Die theoretische Fundierung dieser Studie fußt auf „der“ Evolutionspsychologie und lässt die unterschiedliche gesellschaftliche Bedeutung und Bewertung der Attraktivität von Frauen und Männern als eine ursprünglich für die jeweilige Seite vorteilhafte Strategie erscheinen. Bei all den angeführten und für diese Studie gesetzten evolutionspsychologischen Überlegungen, die ihren Ursprung in nicht direkt beobachtbaren Geschehnissen bis hin zur Urgeschichte hat, muss fairerweise ganz allgemein konstatiert werden, dass die originären Arbeiten dazu nebst deren Interpretationen dominant von Männern erstellt wurden und damit Gefahr laufen könnten, möglicherweise Projektionen aus tradierten gesellschaftlichen Verhältnissen heraus denn stabile Fundamente zu sein (Genderthematik), wie Marylène Patou-Mathis in ihrem Werk ausführt (2021). Das mahne zur Vorsicht, auch wenn die Befunde nicht automatisch falsch sein müssten, aber sie seien eben ungewiss, so dass wir nicht wüssten, ob Frauen, um bei einem Beispiel zu bleiben, nicht auch gejagt hätten.
Dass damals funktionale Strategien heute aufgrund anderer Situationen und kultureller Entwicklungen unbedeutend oder dysfunktional sein können, ist gleichermaßen richtig, ebenso wie sie es manchmal nicht sind. Man muss genau hinschauen. So ist weiterhin unser ältester Sinn, der Geruchssinn, für die Wahl des Partners oder der Partnerin unbewusst wichtig, wird natürlich heute leichter als früher von anderen Hinweisreizen überstrahlt oder durch sie konkurrenziert.
Bleiben wir aber beim Befund: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die Wirkung von Attraktivität dann am größten ist, wenn keine weiteren Einschätzungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und auf sehr ursprüngliche Zuschreibungsmuster unbewusst zurückgegriffen wird. Dass ist in der Führungspraxis bei nah am Geschehen Mitwirkenden normalerweise nicht oder nur zu Beginn der Fall, kann aber dennoch reichen, aufgrund des Äußeren vorgezogen zu werden, sofern gleichrangige Beurteilungen vorliegen oder vorhandenes Material nicht passend gewichtet wird. Man sollte besser davon ausgehen, dass dem immer wieder so ist, zumal die Bestimmung der Führungskraft auch von Personen verantwortet wird (z.b. nächsthöherer Vorgesetzter, Investoren, Medien), die nicht selten eher den Schein der Person denn seine Substanz beurteilen können.
Dass Frauen von attraktiven Partnern nicht profitieren können, gar dadurch benachteiligt werden, ist erst einmal eine vorgelegte und begründete Aussage, die weitere Forschung anregen könnte. Dieser Befund passt aber wieder gut zu zahlreichen dieser Pointenin der Genderdebatte, die einer verbindenden Logik zulasten von Frauen folgen und dadurch diskriminierend wirken. Man wird deshalb nicht die Empfehlung aussprechen wollen, seine Partnerwahl zu instrumentalisieren, demnach Männer gegen eine schwindende Führungskraft durch das Schmücken mit attraktiven Partnerinnen zu boostern oder Frauen in Führungspositionen bei eigenen Auftritten von attraktiven Partnern, möglicherweise gar Männern überhaupt, zu isolieren. Doch scheint mir das Wissen darum nicht unwichtig zu sein, einer gewissen Ratlosigkeit bei plötzlich steigender oder sinkender Akzeptanz entgegenzutreten oder ein bestimmtes Verhalten aus evolutionärer Brille zu deuten. Zudem spielt selbstredend in der Führungspraxis vieles zusammen. Über die Nachhaltigkeit dieses in sich komplizierten Effektes muss im Übrigen weiter geforscht werden, ebenso über dessen Gültigkeit in gleichgeschlechtlichen Beziehungen.