Führenden werden oftmals Alternativen vorenthalten oder sie kümmern sich erst gar nicht darum. Diese Beobachtung intensiviert sich mit dem Erklimmen der Karriereleiter. Der Beitrag illustriert anhand einer aktuellen qualitativen Studie, wie machtniedrigere Personen vermittelt über die Position der rechten Hand Einfluss gewinnen können, um die Interessen der Organisation besser zu wahren.

Wer wünscht sich nicht, Einfluss auf die Entscheidungen des Chefs/der Chefin zu haben? Eben. Aber wie erhält man diesen Einfluss? Je mächtiger der Vorgesetzte ist, umso schwieriger wird eine Einflussnahme, wenn wir weitere Faktoren hier einmal außen vorlassen. Denn mächtige Personen sind gewöhnt, dass permanent Gesprächspartner oder „Untergebene“ etwas von ihnen wollen, manchmal sogar den eigenen Kopf. Leadership Insiders führt aus, wie Einfluss über das Erreichen der informellen Position der rechten Hand generiert werden kann.

Macht neigt zur Perspektiveneinfalt

Die Führungsforschung hat gut dargelegt, dass Führende mit zunehmender Macht dazu neigen, die eigene Sicht der Dinge zu verabsolutieren. Dies entweder weil sie überzeugt sind, keine anderen Wahrheiten zu benötigen, da sie sich im Besitz der einzig gültigen wähnen  – was Teil ihrer Aufstiegserfahrung gewesen sein könnte, denn warum sollten sie, denken Sie, sonst erfolgreich gewesen sein (Overconfidence-Gefahr), oder weil sie schlicht nicht an andere Informationen herankommen, weil niemand offen mit ihnen spricht, sie vielmehr permanent – des eigenen Vorteils anderer willen – in ihrem Tun und Handeln bestätigt werden.

Letzteres mindert die Effektivität und Effizienz der Führenden, weil, wie Studien belegen, die Kenntnis und Abwägung des vorhandenen Wissens, was Perspektivenvielfalt beinhaltet, produktiv ist. Deshalb fordert beispielsweise die transformationale Führungstheorie zu Recht, Mitarbeitende anzuregen, einmal anders zu denken, Bestehendes nicht für selbstverständlich zu nehmen und Dinge in ein anderes Licht zu rücken. Wenn Führende ihrerseits Rat suchen, wenden sie sich vorzugsweise an höherrangig oder gleichrangig Führende oder Externe, beispielsweise Beratungen, ggf. noch Freunde.

Ungewöhnlich ist es hingegen, wenn Führende, insbesondere hierarchisch hochstehende Personen, ihre auf perspektivische Erweiterung ausgerichteten Gespräche mit deutlich weniger machtvollen Personen führen, ein Szenario, das Liza Barnes und Kolleginnen (2024) jüngst näher untersucht haben. Die Ungewöhnlichkeit dessen liege dabei durchaus nicht nur an ihnen selbst, denn Machtniedrigere sind beispielsweise häufig der (irrigen) Auffassung, durch Einlassungen keinen Unterschied machen zu können, oder sich nicht in einer Position zu befinden, um Kritik zu üben oder Entscheidungsalternativen Gehör zu verschaffen. Derartige Konformitäten bringen bekanntlich keine Organisation weiter.

Ungleiche Machtbeziehungen sinnvoll gestalten

Das bereits erwähnte Forschungsteam um Liza Barnes von der Drexel University in Philadelphia, USA, fragte sich nun, wie ungleiche Machtbeziehungen in Organisation so gestaltet werden können, dass machtvollere Personen die Perspektive einer machtniedrigeren Personen bereitwillig bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. Wichtig ist dabei, dass die Letztgenannten Einfluss nicht deshalb ausüben wollen, um ihre eigene Position zu stärken, sondern um die Entscheidungsqualität insgesamt zu verbessern. Untersucht wurden dabei Mitglieder der Organisationsspitze (mehrheitlich CEOs) in ihrer Arbeitsbeziehung zum Stabschef bzw. zur Stabschefin, die für die Metapher der rechten Hand stehen, sofern sie einen Einfluss über das normale, funktionale Maß hinaus erlangen können.

Wie wird man zu einer solchen rechten Hand? Verdichtet man die Ergebnisse, ist es ein Prozess der behutsamen Herausforderung des Chefs oder der Chefin.

  • Es beginnt mit einer genauen Beobachtung dessen, wie die Führungsperson sich in der Öffentlichkeit verhält (z. B. „Wie antwortet sie in Meetings oder wie kommentiert sie im Nachhinein solche Meetings?“, „Reagiert sie eher auf Zahlen oder Anekdoten?“). Dies wird ergänzt durch Eindrücke aus persönlichen Gesprächen, die auch Nachfragen zum Verständnis bestimmter Aussagen oder Entscheidungen umfassen, um die Motivation oder das Prinzip des Gesagten oder der Handlung zu verstehen. „Woher kommt sie“, „Was treibt sie um“, „Wieso kommentiert sie es auf diese Art und Weise“ sind einige dieser Fragen.
  • Nachdem so eine vertiefende Kenntnis erworben wurde, setzt die zweite Phase ein, in der für den Chef/die Chefin nach außen oder innen gesprochen wird, auch um anderen auf Gespräche mit ihm oder ihr vorzubereiten, ohne allerdings für ihn oder sie irgendeine Entscheidung treffen zu wollen („Vermutlich werden Sie dies zu berücksichtigen haben“, „Das ist die Vision, die er/sie verfolgt“, „Diese Äußerung ist nicht persönlich gemeint gewesen“). Auch geht es hier darum, ihm oder ihr zusammengefasst Informationen aus der Organisation zu spiegeln, die ansonsten nie direkt zu dieser Position gelangen würden. Hier erkennt der/die CEO allmählich, wie er/sie etwas über den Puls der Organisation mitbekommen kann. Das schafft Vertrauen, das allerdings sofort konterkariert würde, wenn der Andere anderenorts als zweiter CEO aufträte.
  • Erst mit dem erfolgreichen Durchlaufen einer dritten Phase wird die Entwicklung zur rechten Hand allerdings abgeschlossen. Hier akzeptiert der/die CEO, dass bestimmte „Untergebene“ in privater Atmosphäre, nicht jedoch in Gegenwart anderer, darauf hinweisen dürfen, dass blinde Flecke sein/ihr Handeln trüben (könnten) („Ihr Führungsstil wird von den Abteilungsleitern als zu offensiv empfunden, auch wenn das keiner ihnen so direkt sagt“) oder auch Auswirkungen vergangener und zukünftiger Entscheidungen besser bedacht werden könnten (z.B. „Der Versand dieser E-Mail wird die Leute ziemlich irritieren und die waren bei letzten Mal schon wenig begeistert. Wie wäre es, wenn ich erst einmal mit ihnen spreche und die Dringlichkeit Ihres Anliegens verdeutliche?“). Erst mit dieser Phase ist auch die beabsichtige Perspektivenerweiterung erreicht.

Fazit

Einfluss auf machthöhere Funktionsträger entsteht nicht von selbst, auch der Rang oder Titel der eigenen Position ist hierfür keine Gewähr. Es ist ein sich quantitativ und vor allem qualitativ aufbauender bzw. ausdifferenzierender Prozess. Er benötigt Zeit und verlangt soziales Gespür wie auch emotionale Sensibilität, um die feinen Signale aufzunehmen und zu entschlüsseln. Und natürlich Mut, das Richtige anzusprechen – nicht überhastet, aber auch nicht zu spät

Dabei ist das Erreichen der Position einer rechten Hand die eine Sache, deren Wahrung eine nochmals andere. Es verlangt, eigene Interessen zurückstellen zu können und sich auf jene der Führungsposition zu konzentrieren, sich dabei aber stets bewusst zu sein, dass man sie nicht selbst innehat. Man agiert also so, wie man es von einem Führenden erwartet – Unterstützung gewähren, Anregungen geben, nur eben aus der Position des formal Machtschwächeren heraus. Dies bedeutet auch, die Szenerie anderen zu überlassen und selbst nicht oder kaum öffentlich in Erscheinung zu treten.

Ohne Risiko für einen selbst ist dies alles nicht, denn wird der eigene Beitrag am Ende nicht goutiert (z. B. nach einem überraschenden Führungswechsel oder weil jemand anders diese Position plötzlich ausfüllt), hat man zwar die Organisation weitergebracht, sich selbst karrieretechnisch hingegen nicht. Deshalb sollte man eine Rechte-Hand-Position nur anstreben, sofern man deren Wirkungsweisen schätzt und deren inhärente Risiken zu verschmerzen weiß. Diese Position zu erreichen liegt natürlich nicht allein in der eigenen Hand. Man benötigt Gelegenheiten persönlichen Treffens, man benötigt Personen, die Wahrnehmungen aus der Organisation zurückspiegeln und nicht zuletzt ein Gegenüber, was solche Beiträge auch schätzt.

Heute haben wir über eine ungleiche Machtbeziehung in den oberen Hierarchieebenen gesprochen und wie von der machtschwächeren Position Einfluss ausgeübt werden kann. Der geschilderte Phasenverlauf ist jedoch sehr wohl auch auf mittlere hierarchische Positionen sowie eingeschränkt auch auf untere zu übertragen. Versuchen sie es doch einmal! Wie gesagt, nicht zur Durchsetzung eigener Interessen, sondern zum Wohle des Teams, der Abteilung oder mehr. Für Sie selbst könnte das auch einen Perspektivenwechsel bedeuten, von dem wir wissen, dass er in Abwägung, nicht in unkritischer Übernahme, einen selbst fachlich und persönlich reifer machen wird, weil er den eigenen Möglichkeitsraum nicht nur im Hier und Jetzt erweitert.

Barnes, L.Y. / Lacrenza, C.N. / Volpone, S.D. (2024): Becoming a right-hand-partner: How lower-power employees heedfully challenge organizational leaders. In: Academy of Management Journal, 67(3), 704-736