In der Reihe „Die wissenschaftliche Studie“ stelle ich in loser Folge interessante wissenschaftliche Studien dar und verdichte sie dabei auf das Wesentliche. Zum einen wähle ich sie aus, weil die Ergebnisse auch für Führungspraktiker nützlich sein könnten. Dazu zählt auch, die eigene Reflexion über Führung zu befördern. Zum anderen, weil man als Anwender mehr darüber erfahren sollte, wie Führungswissen jenseits des Anekdotischen entsteht – auch wenn dies hier nur beispielhaft geschehen kann.

Ausgangssituation

Frederic Legrand - COMEO / Shutterstock.com

Frederic Legrand – COMEO / Shutterstock.com

Kommunikation ist für die Führung zentral. Augenscheinlich gibt es Formen der Kommunikation, die anderen in ihrer Wirkung überlegen sind. Dies wird seit der Antike studiert. Immer wieder verdichtet sich die Suche darauf hin, ob es Stilmittel gibt, die den Zuhörer bzw. Zuhörerin so einnehmen, dass von einer charismatischen (besser: charismatisch wirkenden) Kommunikation gesprochen werden kann.

Theorie

Charismatisch Führende sind nach Auffassung der Autoren Individuen, die ihre Vision ihren Geführten gegenüber so kommunizieren können, dass diese ermutigt werden, ihre eigenen Ziele der kommunizierten Vision unterzuordnen. Die Rhetorik ist ein zentraler Weg für den Führenden, seine Erfolgschancen zu erhöhen.

Eine rhetorische Kommunikation des Führenden zeichnet sich durch acht Merkmale potenziell aus:

  1. Bezug zu den Interessen der ganzen Organisation
  2. Deutliche Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart
  3. Bedeutung der Geführten zur Umsetzung der Vision herausstreichen
  4. Ähnlichkeit der Interessen zwischen Geführten und Führendem stärken
  5. Werte und moralische Rechtfertigungen für das Vorhaben betonen
  6. Visionen wählen, die nicht durch eine einzelne Zielerreichung als eingelöst verstanden werden können
  7. Klar erkennbare Handlungsaufforderung formulieren
  8. Verdeutlichen, dass der zukünftige Zustand dem jetzigen überlegen ist.

Empirie

Wie in diesem Bereich durchaus üblich, werden die Reden von politischen Führern analysiert. Ich selbst habe das einmal mit den Reden von Barack Obama (2010) gemacht und andere Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen eingeladen, hierzu ihre Sicht zu formulieren. Die Autoren dieser Studie haben Debatten um die US-Präsidentschaft der Jahre 1960-2012 hinsichtlich der oben angeführten rhetorischen Merkmale analysiert. Dazu benutzten sie eine Textanalyse-Software. Als Erfolgsmaß dienten die dann für den jeweiligen Kandidaten bei der tatsächlichen Wahl abgegebenen Stimmen.

Die Forschergruppe identifizierte vier voneinander getrennte rhetorische Figuren (Cluster). Die erfolgreichste rhetorische Figur war die (in 30% Verwendung), die auf keiner Dimension die schwächste war, aber in der Betonung der Ähnlichkeit zwischen Führendem und Geführten (4), der Wertschätzung für die Geführten (3), der Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart (2) und in der Demonstration der Vorteilhaftigkeit des neuen Zustands gegenüber dem alten (8) Höchstwerte besaß. Diese rhetorische Figur wurde gerade in jüngerer Zeit überproportional vertreten.

Diese Studie liefert für die Ausrichtung von Reden in Organisationen eine überzeugende Hilfestellung. Insbesondere dann, wenn schwierige Zeiten durchlaufen werden müssen oder aber große Vorhaben angegangen werden müssen.

Folgerungen

Um rhetorisch zu überzeugen, sollten also mehrere Substrategien bedacht und angewandt werden. Als entscheidend hat sich eine bestimmte Konfiguration herausgestellt, die einmal mehr bestätigt, dass das Wechselspiel von Elementen oftmals genauso wichtig ist wie die Elemente selbst. Diese Studie liefert für die Ausrichtung von Reden in Organisationen, insbesondere dann, wenn schwierige Zeiten durchlaufen werden müssen oder aber große Herausforderungen vor der Tür stehen, für diejenigen, die sich über Reden an andere wenden, eine überzeugende Hilfestellung. Überzeugend ist sie auch deshalb, weil sich in ihr Elemente finden, die sich anderenorts ebenfalls bewährt haben. Wie immer gilt aber bei Reden, dass nur das eine Wirkung entfaltet, was man als Redner authentisch herüberbringen kann. Schlechte Redner kopieren, gute Rednerinnen halten Augen und Ohren offen, und prüfen, was sie mit Blick auf ihre eigenen Überzeugungen und Erfahrungen gebrauchen können. Dieses muss dann harmonisch und ausbalanciert in Einklang gebracht und passend zum Kontext herübergebracht werden. So würde man in unserem Beispiel zwar alles aufnehmen, aber dort den inhaltlichen und emotionalen Schwerpunkt wählen, wo man wirklich etwas zu sagen hat. Hätte man gar nichts anzubieten, dann ist der Verzicht auf eine Rede als Führungsinstrument die bessere Wahl. Wer hat dies nicht selbst schon beim Zuhören leidvoll erleben müssen? Deshalb gilt: Auch die Erkenntnis um die Begrenztheit des einem selbst Möglichen macht gute Führungskräfte aus.

Sprache hat sehr viel mit der Situation zu tun, in der sie verwendet wird. Die Führungsforschung hat sehr früh schon gezeigt, dass der kommunikative Abstand zwischen Führenden und Geführten nicht zu groß sein darf, um Gehör zu finden. Auch die Unangemessenheit der Wörter mit Blick auf den Sachverhalt gehört dazu.

Ein CEO, der, frisch frisiert, in einem Nadelstreifenanzug in einem aufgeräumten und gut ausgeleuchteten Büro eine Videobotschaft ins Intranet sendet, die harte Zeiten, Einschnitte und den Kampf um die Märkte im Analystenjargon thematisiert, macht wirkungsbezogen etwas falsch. Es geht immer um die Stimmigkeit aller Komponenten einer Botschaft. Das muss dazu an dieser Stelle genügen.

Unten können wir bei Kenneth Gergen unter Bezug auf den Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein (1889-1951) mitlesen, wie Worte Teile ihrer Bedeutung erlangen.

Für die in der wissenschaftlichen Studie angesprochenen Merkmale einer Rede heißt das, zumindest die Schlüsselwörter dahingehend zu überprüfen, ob sie sinnvoll zur Botschaft passen und ob sie zueinander (!) stimmig sind.

„Was ist ein Wort wirklich?“

„Es ist, als würden wir fragen: Was ist eine Figur im Schachspiel? …

Vergegenwärtigen Sie sich zunächst ein Schachspiel. Zwei Spielerinnen wechseln sich darin ab, Figuren unterschiedlicher Form und Größe über ein Brett zu bewegen. Es gibt explizite Regeln, wann und wie jede Figur bewegt werden darf. Des Weiteren gibt es implizite Regeln über angemessene Verhaltensweisen (zum Beispiel sollte man nicht fluchen). Jede Figur des Schachspiels bezieht ihre Bedeutung aus dem Spiel als Ganzes. Die kleinen hölzernen Schachfiguren haben außerhalb des Spiels keinerlei Bedeutung. Innerhalb des Spiels kann jedoch selbst die kleinste Figur ‚Könige‘ und ‚Königinnen‘ stürzen.

„Wittgenstein meint, dass Wörter ihre Bedeutung auf die gleiche Weise erlangen. Die Worte ‚Guten Morgen‘ beziehen ihren Sinn aus der spielähnlichen Beziehung, die wir Gruß nennen. Es gibt implizite Regeln über die richtige Ausführung eines Grußes. Die beteiligten Personen wechseln sich im Sprechen ab und üblicherweise kommt es zum Blickkontakt. Es gibt lediglich eine begrenzte Anzahl von Zügen, die wir regelgerecht ausführen dürfen, nachdem jemand zu uns ‚Guten Morgen‘ sagt. Sie könnten das gleiche erwidern oder fragen: ‚Wie geht es Ihnen? ‘“ (…)

Außerhalb des Grußspiels haben die Worte ‚Guten Morgen‘ keine Bedeutung. Befinden wir uns mitten in einer hitzigen Diskussion über die Arbeitslosigkeit und ich sage zu Ihnen plötzlich: ‚Guten Morgen‘, würden Sie sich vermutlich sehr wundern. Wittgenstein nannte die ‚Sprache und die Handlungen, in die sie eingebettet ist, das ‚Sprachspiel‘. Wörter erlangen somit ihre Bedeutung durch ihre Verwendung innerhalb eines Spiels bzw., wie Wittgenstein es ausdrückte:

‚Die Bedeutung eines Wortes ist seine Verwendung in der Sprache‘”

(Quelle: Gergen, K.: Konstruierte Wirklichkeiten. Eine Hinführung zum sozialen Konstruktionismus, Stuttgart 2002, S. 50/51)

Literatur

Bauer, J.E. u.a. (2016): More than one way to articulate a vision: A configurations approach to leader charismatic rhetoric and influence. In: The Leadership Quarterly, 27, S. 156–171

Weibler, J. (Hg.) (2010): Barack Obama und die Macht der Worte, Wiesbaden

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