Führung ist ein für Organisationen zentrales Thema. Führungsfragen in Non-Profit-Organisationen (NPOs) sind es prinzipiell auch. Selbige verfolgen anstelle finanzieller Gewinnziele lediglich Sachziele (z.B. Nothilfe, Wohlfahrtspflege, Umweltschutz, Bildung, Inklusion). Erreicht werden diese in Form der Erbringung von Dienstleistungen und/oder politischer Arbeit in Form der Themenanwaltschaft. Ausschlaggebend für den Erfolg sind die in NPOs arbeitenden Menschen. Zwar stellt die Führungsforschung eine hohe Bandbreite an Theorien, Konzepten und systematisiertem Erfahrungswissen zur Verfügung, doch wird der spezifische NPO-Kontext nur selten adäquat berücksichtigt. Leadership Insiders gibt daher einen Überblick über die Besonderheiten von NPOs und zeigt, wie ihre Aufgaben führungspraktisch unterstützt werden können.
NPOs – Fakten
In ihrem Standardwerk zur NPO-Forschung, dem Handbuch der Nonprofit-Organisationen, weisen Michael Meyer, Ruth Sima und Christoph Badelt (2022) die auch international gängige Charakterisierung von NPOs mittels folgender Merkmale aus:
- NPOs besitzen ein Mindestmaß an formaler Organisation (z.B. formale Zuständigkeiten oder Entscheidungsstrukturen, juristische Registrierung, o.Ä.).
- NPOs sind private, also nicht-staatliche Organisationen. Dies schließt eine Finanzierung durch Letzteren aber ausdrücklich nicht aus.
- NPOs unterliegen einem Ausschüttungsverbot für etwaige finanzielle Überschüsse. Diese dürfen nicht an Eigentümer oder Mitglieder ausgeschüttet, sondern müssen für den Zweck einer NPO (das Sachziel bzw. die Mission) aufgewendet werden.
- NPOs treffen Entscheidungen autonom, verwalten sich also selbst.
- NPOs sind durch ein Mindestmaß an Freiwilligkeit gekennzeichnet, die durch eine (freiwillige) Mitgliedschaft oder eine Zeit- bzw. Geldspende zum Ausdruck gebracht wird.
Diese Merkmale sind alles andere als trennscharf und einzelne NPOs erfüllen sie in unterschiedlichem Ausmaß. So sind einige NPOs stärker oder hauptsächlich durch die Freiwilligkeit geprägt, während vor allem größere NPOs in höherem Maße formalisiert sind. Es handelt sich somit nicht um eine präzise Charakterisierung. Vielmehr wird so eine Art Sammelbecken beschrieben, das neben den großen Wohlfahrtsverbänden, Interessensvereinigungen, Genossenschaften, Sport- und Fördervereinen auch kleinere Selbsthilfegruppen umfasst. Im Ergebnis entsteht eine äußerst heterogene NPO-Landschaft, für die allgemeingültige Aussagen eher eingeschränkt zu formulieren sind.
Diese Vagheit drückt sich bereits in der zahlentechnischen Aufbereitung des Feldes aus. Der Sozialwissenschaftler Holger Krimmer (2019) hat den verdienstvollen Versuch unternommen, verschiedene Datenquellen zur Zivilgesellschaft, wofür die NPOs stehen, zusammenzutragen: Den Zahlen zu Folge (Stand 2016) existieren in Deutschland knapp über 600.000 eigetragene Vereine, ca. 22.000 Stiftungen und ca. 8.500 Genossenschaften. Erwähnenswert ist ferner die Anzahl von rund 25.000 gemeinnützigen GmbHs, deren Anzahl innerhalb von zehn Jahren um über 50% zugenommen hat.
Auch kann sich der Bedeutung von NPOs über den Arbeitsmarkt in Deutschland angenähert werden. So sind etwa 8,5% aller Erwerbstätigen oder ca. 3,7 Mio. Personen in NPOs beschäftigt (vgl. Priller/Zimmer 2022, S. 22. Für CH und A: rund 9% / 6%). Interessant ist dabei u.a., dass Frauen mit 70-80% der Beschäftigten zwar einen hohen Anteil besitzen, sie jedoch auch im NPO-Kontext in Führungspositionen unterrepräsentiert sind (vgl. Weibler 2017). Darüber hinaus zählen noch ehrenamtlich und freiwillig Engagierte zum NPO-Personal. Aktuelle Zahlen zeigen, dass sich 4 von 10 Personen über 14 Jahren gesellschaftlich engagieren (vgl. Priller/Zimmer 2022, S. 31). Ganz gleich ob hauptamtlich Beschäftigte oder Ehrenamtliche bzw. Freiwillige: Damit eine NPO ihren Zweck erfüllen kann, ist die Anstrengung aller gefordert. Und diese Integration aufgaben-, beziehungs- und veränderungsorientiert hinzubekommen, ist für eine gelingende Führung essentiell.
Besonderheiten und Herausforderungen im NPO-Kontext
Der Kontext, in dem sich Führung in NPOs vollzieht, weist gegenüber dem in Unternehmen Besonderheiten auf. Mit der gesonderten Personalstruktur von freiwilligem Engagement und Hauptamt ist davon bereits eine benannt. Die Soziologin Ruth Simsa (2014) spricht ferner von strukturellen sowie organisationskulturellen Besonderheiten von NPOs, die es im Rahmen der Führung in NPOs zu berücksichtigen gilt. Gestützt auf empirische Befunde zählt sie hierzu insbesondere
- Widersprüche im Tagesgeschäft. Gemeint ist hier nicht nur das Spannungsfeld zwischen Mission, d.h. der inhaltlichen Arbeit von NPOs, und dem ökonomischen Erfolg bzw. dem ökonomisch Notwendigem, sondern auch das zwischen Zielen und Menschen mitsamt ihren Anforderungen und Erwartungen sowie das zwischen der Erbringung von konkreten Leistungen für Klienten und politischer Arbeit. Die Arbeit ist somit geprägt durch eine kontinuierliche Abwägung.
- Orientierung an Werten und Ideologien. Aufgrund der inhaltlichen Ausrichtung auf Sachziele erleben Mitarbeitende die Tätigkeit in NPOs als sinnvoll (was zudem ja bereits der Eintrittsgrund gewesen ist). Dies speist die Motivation. Tendenzen der Ökonomisierung, bspw. durch das Befolgen betriebswirtschaftlicher Logiken und Instrumente, stellen jedoch insofern eine Bedrohung für dieses Sinnerleben dar, als dass sie es überlagern und damit reduzieren können. Dies soll mitnichten heißen, dass NPOs frei von ökonomischer Logik agieren. Jedoch müssen betriebswirtschaftliche Instrumente für einzelne NPOs und ihre jeweilige Kultur adaptiert werden.
- Abwehr von Führung und Belastungen. Angesprochen ist hier ein „antihierarchischer Affekt“, der die Ablehnung formaler Strukturen, Autorität und Macht (gerade bei den Freiwilligen und Unterstützern) ausdrückt und sich somit auf das hierarchische System an sich und nicht auf eine konkrete Person bezieht. Rein auf eine Positionsmacht gegründete Einflussversuche stoßen daher vielfach auf Ablehnung.
Natürlich ist (erneut) zu bedenken, dass diese Besonderheiten zwar nicht notwendigerweise in jeder NPO tatsächlich auch faktisch ausgeprägt sein müssen. Dennoch prägen sie den Alltag vieler NPOs maßgeblich mit und erzeugen für Führungskräfte mehrfache Herausforderungen. Für das erfolgreiche Handeln einer Führungskraft ist nun entscheidend, inwieweit es ihr gelingt, mit diesen hieraus erwachsenden ständigen Spannungen umzugehen.
Führungskompetenzen in NPOs
Sicherlich sind zur Beantwortung dieser Frage zunächst einmal alle herkömmlichen Führungstheorien und begründeten Führungsvorstellungen heranzuziehen. So bleiben beispielsweise Fragen der Beziehungsqualität (LMX-Theorie), der Glaubwürdigkeit (authentische Führungstheorie) oder der inspirierenden Kraft (transformationale Führungstheorie) auch hier wichtig (grundsätzlich: Weibler 2023).
An dieser Stelle möchten wir aber aus der spezifischen Diskussion heraus den Blick auf vorgeschlagene Führungskompetenzen richten. Leitfrage hier:
Welche Kompetenzen sind für Führungskräfte im-NPO-Umfeld sehr hilfreich, um erfolgreich zu sein?
Ein konzeptionelles Modell hierzu hat ein amerikanisches Forschungstrio um Sungdae Lim, Ralph Bower und David Berlan (2021) vorgelegt, für das sie die Funktion von Führungskräften zur aktiven Gestaltung bzw. Konstruktion des Organisationsbildes und der Bestimmung bzw. des Umgangs mit der relevanten Umwelt in den Fokus rücken. Mit anderen Worten geht es darum, wie Führungskräfte trotz der NPOs oftmals inhärenten Widersprüche und Gegebenheiten ein gemeinsames Sinnerleben erzeugen und darüber auf das Verhalten von hauptamtlich Beschäftigten sowie Freiwilligen einwirken können.
Im Zentrum des Modells steht das Konstrukt einer interpretierenden (einer Art dolmetschenden) Führungskompetenz („interpretive leadership skill“). Hierunter verstehen die Autoren die Kompetenz einer Führungskraft, verschiedene organisationale Erlebnisse oder Erfahrungen zu entdecken, zu koordinieren sowie zu reflektieren und letztlich eine gemeinsame Realität in einer NPO zu erzeugen. Dies schließt die führungsseitige Verbreitung dieser Realitätskonstruktion ein. Bestimmt wird diese Kompetenz durch drei Fähigkeiten:
- Kontextuelle Scharfsinnigkeit („contextual astuteness“) meint die Fähigkeit, verschiedene Umwelten wahrnehmen und kommunizieren, d.h. ansprechen und managen zu können. Dies ist deshalb notwendig, da NPOs in verschiedenen Umwelten wie dem Marktumfeld oder eben dem Servicekontext agieren. Führungskräfte müssen daher in Erfahrung bringen, wie Klienten, Mitarbeitende, Mitglieder sowie externe Anspruchsgruppen (z.B. Aufsichtsorgane, Gesellschaft) die Aktivität einer NPO erleben. Weil die dabei an NPOs herangetragenen Erwartungen und Anforderungen divergieren (können), müssen NPOs Strategien entwickeln, wie sie diesen mit ihren Leistungen und Ressourcen begegnen kann (z.B. durch Priorisierung). Weil sich Umwelten verändern und zudem auch die Aktivität von NPOs selbst Reaktionen hervorrufen können, ist die konsequente Beobachtung eine fortwährende Aufgabe.
- Fähigkeit zur Koordination („coordination capacity“) spricht an, dass Führungskräfte in der Lage sein müssen, verschiedene Interessen, Identitäten, Ressourcen und Ziele auszugleichen. Führungskräfte interpretieren das interne und externe Geschehen und ermutigen damit andere, ihre eigenen Perspektiven zugunsten dieser Interpretation aufzugeben. Wichtig ist dabei, dass andere Sichtweisen nicht von vornherein ausgeklammert, sondern möglichst in einen größeren Rahmen integriert werden.
- Fähigkeit zur Selbstreflexion („self-reflective capacity“) bezieht sich auf die Umstände in NPOs und das Realitätserleben von beteiligten Personen unterliegen Veränderungen. Führungskräfte sind daher gefordert, kontinuierlich sich, ihr Verhalten und ihre früheren Interpretationen der Realität bzw. einer NPO objektiv zu hinterfragen und in Hinsicht auf einen Veränderungsbedarf zu prüfen. Die Selbstreflexion dient dabei der Weiterentwicklung der eigenen (interpretierenden) Führungskompetenz.
Deutlich zu erkennen ist die mit dem Ansatz an NPO-Führungskräfte herangetragene Funktion der Integration. Gerade weil unterschiedliche Perspektiven bestehen, NPOs aber bei oftmals knapper Ressourcenausstattung auf die Unterstützung zahlreicher und verschiedener Interessensgruppen angewiesen ist, bedarf es eines integrativen Wirkens der Führungskräfte.
Sicherlich kennen wir Derartiges auch aus Unternehmen, wenn es um ein Management der Stakeholderinteressen geht, doch tritt es hier verschärft hervor. Deshalb ist auch des Öfteren von der Partizipation aller Interessensgruppen die Rede. Ein praktisches Beispiel hierfür wäre die Gruppe der Freiwilligen und Ehrenamtlichen: Deren Engagement beruht zwar auf einer vorhandenen intrinsischen Motivation, kann aber jederzeit wieder beendet werden. Führungskräfte von NPOs sind daher gut beraten, Freiwillige und Ehrenamtliche einzubinden und, trotz gegebener Sachzwänge, nicht durch eine überbordende Fremdbestimmung, beispielsweise über Regeln, die wiederum von Dritten zunehmend eingefordert werden, zu demotivieren. Dies darf andererseits aber nicht zu Lasten des hauptamtlichen Personals erfolgen, weil dadurch lediglich Spannungen und Konflikte zwischen beiden Beschäftigungsgruppen hervorgerufen werden würden. Kurz gesagt geht es darum, beide Gruppen als sich ergänzend zu verstehen und die Synergien mit Blick auf die Mission zu kommunizieren.
Führungsüberlegungen zu NPO müssen vertieft werden
Diese zur Führung von NPOs herausgehobenen wichtigen Kompetenzen docken offensichtlich nur an der Führungsperson an. Sie sind zwar plausibel, werden aber nicht vertiefend mit der Führungsbeziehung, also dem Ort, wo sich Führung tagtäglich abspielt, verbunden. Das wäre also auszubauen. Gerade hierfür scheint das von uns anderenorts stark gemachte Resonanzkonzept (wie in Weibler 2021) als Kern einer gelingenden Führung geeignet. Immerhin werden bereits die (ressourcenrelevanten) externen Stakeholder aktiv in die Überlegungen eingebunden. Da auch diese wiederum oftmals ehrenamtlich agieren, und ihre formale Macht über Satzungen verankert ist – die informelle tritt hinzu -, ist deren Professionalisierungsgrad selbst absolut kritisch für den Erfolg. Damit ist nicht nur die Führung in NPOs intensiver zu diskutieren, sondern auch die Führung von NPOs. Abschließend gilt es zu bedenken, das sich zwischen den NPOs die Relevanz einzelner Stakeholdergruppen, die Bedeutsamkeit des „Marktes“ für das Handeln oder die Anzahl wie Qualität der am Führungsprozess beteiligten Personen nennenswert unterscheiden. Dies zu erkennen und damit zu balancieren, bleibt für NPOs herausfordernd.