Menschen sollte man nicht nach ihrem Aussehen beurteilen, heißt es. Dafür gibt auch es gute Gründe. Trotzdem wird in der Praxis vielfach anders verfahren. Wir zeigen auf, warum Führungskräfte sich dessen bewusst sein sollten.
Was haben Sie beispielsweise gedacht, als Sie Tilda Swinton, die in der Comic-Verfilmung „Doctor Strange“ die Lehrmeisterin von Benedict Cumberbatch spielt (Kinostart 27.10 2016, Regie: Scott Derrickson), als Eingangsbild des Leadership Insiders Beitrages sahen? Was fiel ihnen als erstes auf? Verbanden Sie Führungskompetenz mit dem Bild – und wenn ja, warum – oder waren Sie durch die Bild-Text-Kombination eher irritiert?
Urteilsbildung durch die äußere Erscheinung
Jeden Tag schätzen wir unzählige Menschen aufgrund ihrer äußeren Erscheinung ein. Sei es bei einem Spaziergang im Park, einem Einkaufsbummel, bei einer Busfahrt oder beim Fernsehen – wir verschaffen uns kontinuierlich einen „ersten Eindruck“ von Personen. Um von der Flut an möglichen Informationen, die im Zuge von Wahrnehmungsprozessen auf uns einprasseln, nicht übermannt zu werden, ordnen wir diese Informationen und den Informationsträger bzw. die Informationsträgerin verschiedenen Kategorien zu. Unser Gehirn ist quasi gemacht für solche sehr schnellen Urteile, denn nur so können wir uns in der sozialen Welt zurechtfinden.
Visuelle Charakteristika der einzuschätzenden Person spielen dabei eine herausragende Rolle, dazu zählen u.a. das Gesicht, die Körpergröße oder auch die Kleidung. Unsere Wahrnehmung ist dabei extrem schnell. Bereits wenige hundert Millisekunden reichen aus, um uns ein Bild des Gegenübers zu machen und um beispielsweise zu unterscheiden, ob uns da ein „Freund“ oder „Feind“ gegenübersteht. In der Evolution war das überlebenswichtig. Denn Fehlurteile konnten in ungeschützten und unregulierten Umwelten nicht mehr korrigiert werden.
Im sozialen Leben setzen sich diese Mechanismen bis heute fort. Allerdings: Urteile, die aufgrund eines ersten Eindrucks gewonnen werden, sind nicht immer akkurat, sondern unterliegen verschiedenen Beurteilungsfehlern (biases). Gleichwohl haben „erste Eindrücke“ weitreichende Konsequenzen für unser eigenes Verhalten und im Hinblick auf die Reaktionen des Gegenübers.
In einer klassischen psychologischen Studie untersuchten Rosenthal und Jacobsen (1968) die Wirkung eines (allerdings extern provozierten) ersten Eindrucks. Sie berichteten dem Lehrpersonal, dass einige ihrer Schülerinnen und Schüler (20%) im Laufe des Schuljahres vor einem Entwicklungsdurchbruch bei ihrer Intelligenz standen. Obwohl die Namen dieser Schüler und Schülerinnen per Los, und damit zufällig, bestimmt wurden, wurde bei den so Benannten am Ende des Schuljahres tatsächlich ein überdurchschnittlicher Intelligenzschub (v.a. Mädchen) bzw. eine überdurchschnittliche schulische Leistungssteigerung (v.a. Jungen) attestiert. Der gelenkte Eindruck führte also lehrerseitig zu einer korrespondierenden Kategorisierung, die wiederum ein schülerseitiges Verhalten aktivierte (z.B. mehr Anstrengung), welches für deren eigene Entwicklung förderlich war. Dies wurde wiederum lehrerseitig registriert und der Zyklus ging von vorne los (wer mehr wissen möchte, sollte das untere Video anklicken).
Metaphorisch wird dies als Pygmalion-Effekt bezeichnet. Diese Bezeichnung hat ihre Wurzeln in der griechischen Mythologie, wo der Künstler Pygmalion sich in eine selbst geformte weibliche Figur verliebte, die während einer Liebkosung – und Dank der Götter – zum Leben erwachte. George Bernhard Shaw schrieb daraufhin die berühmte Komödie vom Professor Henry Higgins und dem Blumenmädchen Eliza Doolittle.
Im Folgenden beleuchten wir zwei für die Menschenführung besonders wichtige Bereiche: Die Zuschreibung von Führungskompetenz (leadership competence) und die Zuschreibung von Attraktivität (attractiveness) . Auch in diesen Bereichen wird häufig ohne Kenntnis einer näheren Faktenlage rein intuitiv aufgrund eines angenommenen Zusammenhanges von Kriterium (Gesicht und Mimik) und Erfolgsgrößen (Führung, Leistung) gehandelt.
Kompetenzeinschätzung aufgrund des Gesichts
Eine Erklärung für die besondere Bedeutung des Gesichts bei der Zuschreibung von Persönlichkeitseigenschaften bietet der evolutionär-psychologische Ansatz (Van Vugt/Grabo 2015). Er besagt, dass sich unsere kognitiven Leistungen im Entwicklungsverlauf des Menschen unterschiedlichen Umwelterfordernissen anpassend, ausdifferenziert haben. Tendenziell gilt für die Führung, dass in ausgewogeneren, ruhigeren (Friedens-)Zeiten Führungspersonen mit vertrauenswürdigen, femininen Gesichtern bevorzugt werden. In unruhigeren, eher konfliktbeladenen Zeiten sind es dagegen eher dominante, maskuline Gesichter, die favorisiert werden.
Die Forschergruppe um den Evolutionspsychologen Brian Spisak hat ergänzend die Bedeutung des Alters von Gesichtern in Bezug auf zugeschriebene Führungskompetenz untersucht. Die Gruppe fand heraus, dass die Versuchspersonen ein älter aussehendes Gesicht bevorzugten, wenn es um die Wahl eines Politikers bzw. einer Politikerin ging, die „Stabilität in wirtschaftlich schlechten Zeiten“ sichern sollte und ein eher junges Gesicht, wenn „Zeiten des technologischen Wandels“ angesagt waren.
Wie sensitiv wir aufgestellt sind, zeigt ein Experiment von Christopher Olivola und Alexander Todorov (2010). Sie haben computergenerierte Gesichter kreiert, die in Bezug auf Kompetenzeinschätzungen an den Extrempolen um vier Standardabweichungen nach unten und oben vom Mittelwert abweichen.
Die Forscher schlussfolgern, dass die Gesichter, die in Richtung hohe Kompetenz verändert wurden, reifer und attraktiver erscheinen. Die Gesichter wirken dann weniger rund, der Abstand zwischen den Augen und den Augenbrauen ist verringert, die Wangenknochen sind höher und der Kiefer wirkt kantiger. Ein besonderer Hinweisreiz des Gesichts ist dabei die Symmetriewahrnehmung sowie die Gesichtsfarbe. Einschätzungen des Geschlechts, des Alters und der Ethnie gehen dem Beurteilungsprozess voraus. Entscheidend ist aber der Gesamteindruck. Versuchspersonen schätzen diese kompetenteren Gesichter gleichzeitig als attraktiver und weniger „milchgesichtig“ (Baby Face) ein. Neben der Führungskompetenz werden auch weitere Urteilsbildungen vorgenommen, die Persönlichkeitseigenschaften (z.B. Vertrauenswürdigkeit), Einstellungen oder andere Kompetenzen betreffen (Todorov/Olivola/ Dotsch/Mende-Siedlecki, 2015).
Derartige Wahrnehmungen laufen schon bei Kindern ab: John Antonakis und Olaf Dalgas (2009) von der Universität Lausanne zeigten Kindern die Bilder von Politikern und fragen dann, welche der dargestellten Personen der Kapitän ihres Bootes sein sollte. Die Kinder urteilten dabei allein aufgrund der Gesichtsmerkmale, die mit Kompetenzeinschätzungen einhergehen, wie bspw. dem Alter und der Ähnlichkeit zu Babygesichtern. Aus den Kompetenzeinschätzungen der Kinder ließ sich der tatsächliche Wahlerfolg der dargestellten Personen deutlich über die Zufallswahrscheinlichkeit hinaus vorhersagen (*Auflösung am Ende des Beitrages).
Attraktive Führungskräfte profitieren (fast immer)
Neben der Zuschreibung von Führungskompetenz aufgrund der Anmutung des Gesichts spielt die Wahrnehmung der Attraktivität aufgrund der Gesichtsbewertung eine lebenspraktisch noch bedeutsamere Rolle. In der psychologischen Forschung ist dies als „What is beautiful is good“-Stereotyp bekannt (so bereits z.B. Dion/Berscheid/Walster 1972; zur Ausnahme (gegenläufiger Effekt) bezüglich weiblicher Führungskräfte für Top-Positionen siehe „Beauty is the Beast“ und grundsäztlicher zu Frauen und Führung Weibler 2016). Für Führungskräfte sind Auswirkungen auf Auswahl- und Entwicklungsentscheidungen natürlich besonders heikel.
Attraktiven Personen werden dabei quasi automatisch weitere, positiv besetzte Persönlichkeitseigenschaften zugeschrieben, wie etwa Intelligenz, Humor oder Kompetenz. Attraktive Personen werden dabei nicht nur positiver eingeschätzt als ihre eher unattraktiven Zeitgenossen, sie werden auch mehr gemocht und besser behandelt. Attraktive Menschen haben mehr Dates, berichten über angenehmere Interaktionen mit anderen Personen, werden bei Verbrechen als weniger schuldig wahrgenommen und zahlen geringere Strafen bei Gesetzesverstößen (zur Übersicht siehe Little/Roberts 2012). Damit hat Attraktivität nun auch ökonomische Konsequenzen:
So werden Bewerber um den Geschäftsführerposten, die kompetent aussehen, in der Tat mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eingestellt und erhalten ein höheres Gehalt, auch wenn sie ihre Arbeit nicht besser ausführen als Geschäftsführer, die nicht so kompetent aussehen.
Führungskräfte sind „Täter“ wie „Opfer“
Umfragen von Recruiting Plattformen belegen eindrücklich die herausragende Bedeutung von Social Media für die Personalsuche und Personalauswahl. Dort sind Gesichter omnipräsent. In ihrem aktuellen Jahresbericht (2016) berichtet die Recruiting Plattform Jobvite aus einer Umfrage unter 1.600 Profis aus dem Bereich Personalauswahl, dass sich 87 % der Personalverantwortlichen das LinkedIn Profil der Bewerberin oder des Bewerbers ansahen. Über 40 % bewerteten ebenfalls das Facebook Profil. Auch viele Führungskräfte dürften vorab aus Neugierde surfen. Damit laufen sie allerdings Gefahr, von der Optik des sich Bewerbenden unbewusst über Gebühr beeinflusst zu werden. Umgekehrt unterliegen sie auch selbst diesen Mechanismen, wenn sie eine (elektronische) Bewerbungsmappe beifügen.
Ein erstes Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie wurden eingeladen, sich bei dem nächsten Pitch-Event als Startup-Gründerin mit einem kurzen Text und Foto auf der Veranstaltungswebseite vorzustellen. Wollen Sie für das Publikum und die Jury möglichst offen und umgänglich wirken, dann wäre es, wissenschaftlichen Untersuchungen folgend, vorteilhaft, wenn Sie ein Foto von sich auswählten, auf dem Sie lächeln (Zähne zeigen) und den Kopf leicht schief halten (Vernon/Sutherland/Young/Hartley 2014).
Ein zweites Beispiel: Der Internet-Dienstleister photofeeler.com hat 2014 in einer internen Studie von seinen Usern 800 Profilfotos bewerten lassen und kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Vernon und Kollegen (2014): Um kompetent zu wirken, sollten Sie auf Ihrem Profilfoto mit dem ganzen Gesicht und einem Teil des Oberkörpers, und am besten in formaler Business-Kleidung, zu sehen sein. Dabei sollten Sie so stark lächeln, dass Ihre Zähne zu sehen sind und Ihre Augen sich etwas verkleinern. Weitere „Do´s and Don´ts“, deren Validität wir aber nicht überprüft haben, finden Sie bei photofeeler.com.
Schauen Sie sich danach doch noch einmal Ihr Profilfoto auf Ihrer Firmen-Homepage oder bei sozialen (Berufs-)Netzwerken, wie XING, LinkedIn, oder ResearchGate an. Für diejenigen, die auf der sicheren Seite sein wollen, bietet photofeeler.com einen kostenlosen Foto-Bewertungsdienst an. Hier können Sie Ihr zukünftiges Profilfoto von anderen Nutzerinnen u.a. auch in Bezug auf Kompetenz bewerten lassen. Als „Desaster-Check“ wäre es vielleicht einen Versuch wert, sofern die Versprechungen der Macher eingehalten werden.
Nun, diese Informationen wollten wir Ihnen nicht vorenthalten. Aber es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit man gewillt ist, sich angesichts dieser Erkenntnisse anders zu präsentieren, als man es aus eigener Überzeugung tun würde. Generell empfehlen wir nur Veränderungen, die helfen, das Selbst besser zum Ausdruck zu bringen und nicht, es manipulativ zu verbiegen, selbst wenn kurzfristiger Erfolg damit verbunden wäre. Dies zum einen aus ethischen Gründen, zum anderen aus pragmatischen. Während das Ethische insbesondere die Wirkung des Handelns auf andere im Blick hält, zielt das Pragmatische auf die materiellen wie vor allem immateriellen Kosten der Aufrechterhaltung einer Scheinwelt ab. Und bedenken Sie dabei immer: Nicht nur Ihr evolutionäres Gedächtnis arbeitet gegenüber anderen beständig, sondern auch das der Anderen Ihnen gegenüber.
Führungskräfte können aus dem Gesagten allemal lernen, den ersten Eindruck, den sie von ihrer neuen Chefin oder ihrem neuen Mitarbeiter haben (und der im Übrigen auch nicht zu vermeiden ist), im weiteren Verlauf jedenfalls nicht unhinterfragt zu lassen. Gezielt sollte immer wieder nach Informationen Ausschau gehalten werden, die den ersten Eindruck überprüfen und ggf. falsifizieren. Dann verhielten Sie sich wie Wissenschaftler, die ihre Hypothesen so anlegen, dass sie immer auch an der Empirie scheitern können.
Denn vergessen wir nicht: Das sich sehr schnell bildende erste Urteil zur Führungskompetenz, die bei uns im Fokus stand, war in der Entstehungsgeschichte der Menschheit aus evolutionärer Sicht sinnvoll, da die Situationen, die zu meistern waren, in sich sehr stabil waren (physische Dominanz – gut im Zweikampf – zur Führung geeignet, da Revierkämpfe ausgefochten wurden). Dort, wo die Situation variantenreicher ist, muss es die Führungskompetenz auch sein.
*Anmerkung: 77% der Kinder rund 67% der Erwachsenen wählten den Sieger (links) korrekt und damit überzufällig aufgrund allein dieser beiden Photos aus. Der Gesamteffekt blieb etwas darunter, konnte aber unter Hinzunahme von Kontrollvariablen wieder gesteigert werden.