Prof. Dr. Maren Urner hat ihr neues Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise: Mit dem Denken von morgen die Probleme von heute lösen“ (2021) vorgelegt, in dem sie darstellt, wie wir unsere gewohnten Denkmuster ändern können und neu ausrichten müssen, um die Krisen unserer Zeit zu meistern und richtige, langfristige Entscheidungen treffen zu können. Zentrale Grundlage dafür ist es, gesellschaftliche Fragen auf Basis neuester psychologischer und neurowissenschaftlicher Forschungserkenntnisse besser beantworten zu können. Vor dem Hintergrund der hohen Bedeutung von Führung in Krisenzeiten, Grund genug für Leadership Insiders einmal genauer zu schauen und gemeinsam mit Maren Urner einen Blick in die eigene Innenwelt zu werfen.
Über Prof. Dr. Maren Urner
Maren Urner studierte Kognitions- und Neurowissenschaften in Deutschland, Kanada und den Niederlanden und wurde am University College London promoviert. 2016 gründete sie „Perspective Daily“ mit, das erste werbefreie Online-Magazin für Konstruktiven Journalismus, leitete die Redaktion bis März 2019 als Chefredakteurin und war Geschäftsführerin. 2019 wurde sie zur Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln berufen.
Leadership Insiders: Krisen haben Konjunktur – unser Alltag ist vielfach geprägt von persönlichen Herausforderungen. Denken wir daran, Privates und Berufliches unter einen Hut bringen, Gutes tun, immer up to date sein und übergreifende Probleme wie die Klima-Krise mit anzugehen. In den Unternehmen schreitet die Digitalisierung immer weiter voran, Künstliche Intelligenz ist nicht mehr nur in den Großunternehmen, sondern auch in kleineren und mittleren-Unternehmen verstärkt auf dem Vormarsch, wie Jan Henning Behrens mit anderen erst kürzlich dokumentierte. Neben den positiven Auswirkungen von Technologie allgemein, sind aber auch deren Schattenseiten nicht zu unterschätzen. Man denke an Belastungen durch ständige Erreichbarkeit oder den falschen Einsatz von digitalen Tools, die dann mehr schaden als nützen. Alle diese Aspekte werfen neue Fragen hinsichtlich der Kompetenzentwicklung von Führungskräften auf. Müssen sich Führungskräfte in der heutigen Zeit verstärkt die Frage stellen, ob sie krisenfest und in der Lage sind, in einer komplexer werdenden Welt die richtigen Entscheidungen zu treffen und das Richtige zu tun?
Maren Urner: Das ist eine Frage, mit der sich nicht nur jede Führungskraft, sondern jeder Mensch, beschäftigen sollte. Denn Krisen und die Digitalisierung betreffen uns alle. Allerdings sind Führungskräfte diejenigen, die aufgrund ihrer besonderen Verantwortung und der damit verbundenen Ressourcenausstattung mehr Einflussmöglichkeiten in Unternehmen besitzen. Sie können Wandel also besonders weitreichend mitgestalten und sollten sich täglich fragen: Wie kann ich die Krisen als das, was sie in der ursprünglichen Bedeutung sind – nämlich Wendepunkte – konstruktiv und lösungsorientiert nutzen. Führungskräfte können und müssen ihrer Rolle als Vorreiter vorangehen. Auf der anderen Seite können sie natürlich durch schlechte Entscheidungen viel Leid anrichten.
Ich bin davon überzeugt, dass jede Krise immer auch ein Test für Führungsqualitäten ist. Denn sie offenbart, wer in der Lage ist, dynamisch und vorausschauend zu handeln, auch bei maximaler Unsicherheit und Verunsicherung. Dazu gehört nicht nur ein sinnvolles Verteilen von Ressourcen, sondern auch das Belohnen von Verhaltensweisen, die langfristig der Gruppe nutzen – und andere zu sanktionieren.
Während der Corona-Krise können wir genau das weltweit beobachten. Überall beschäftigen sich die Regierenden und Bevölkerungen mit Fragen der Auf- und Verteilung, erst waren es die Masken und Intensivbetten, nun auch Impfstoffe. Die Ergebnisse einer ersten wissenschaftlichen Studie von Garikipati und Kambhampati aus dem Jahre 2020 zur Frage der besten Pandemie-Führung zeigen, dass Empathie, schnelles Handeln und Vertrauen in die Wissenschaft wichtige Zutaten waren und sind. Interessanterweise hat sich in dieser Studie auch gezeigt, dass die COVID-Ergebnisse im Sommer 2020 systematisch besser in denjenigen Ländern waren, die zu dem Zeitpunkt von Frauen geführt wurden. Hierzu gehören Länder wie Neuseeland, Deutschland, Dänemark und Finnland.
Leadership Insiders: Das klingt interessant. Ihre genannten Eigenschaften wie Empathie, schnelles Handeln und Vertrauen werden in der Literatur im Zuge von New Work-Transformationen und einer sinnorientierten Führung diskutiert, wie ich in diesem Jahr selbst in einem Aufsatz mit Roman Senderek und Volker Stich darstellte. Oft ist diesem Zusammenhang etwa in der Literatur von der Führungskraft als Lern-Coach oder Mentor die Rede. Brauchen Führungskräfte also eine neue Haltung, wenn sie als Rollenvorbilder vorangehen wollen?
Maren Urner: Das kommt drauf an, welche Kulturen wir betrachten – soweit ich weiß, ist das das neue Denken, um das es mir geht, nicht überall „neu“. Aber mit Blick auf die „klassische“ Idee von harter Hand und starkem Hierarchiedenken trifft das auf jeden Fall zu. Die dabei gewohnten Rezepte und Denkmuster sind wissenschaftlich längst überholt und sind nicht die erfolgreichsten Methoden. Längst wissen wir, wie das menschliche Sicherheitsstreben, unsere schlechte Risikoeinschätzung und Lager-Denken besser genutzt werden können, als das heute häufig der Fall ist und am Ende des Tages mit Misserfolg einhergeht.
Ich beschreibe die alten Vorstellungen in meinem neuen Buch als „statisches Denken“, das am Status quo festhält. Demgegenüber steht das „dynamische Denken“, das uns alle nicht nur erfolgreicher, sondern auch insgesamt gesunder und zufriedener macht – wir müssen es nur zulassen. Und genau da kommen die Führungskräfte ins Spiel, die es vorleben und einfordern müssen. Als wichtige Zutaten benötigen wir mehr Neugier, Mut und Verstehen, um die eigenen Denkmuster zu hinterfragen und auch ändern zu können. Nur dann können wir die Herausforderungen und Probleme kreativ und lösungsorientiert angehen. Werden diese Werte in der Unternehmenskultur vorgelebt und belohnt, entstehen echte Kooperation, Sinnstiftung und positive Beziehungen. Genau das sind die Zutaten, die langfristig erfolgreiche Unternehmen ausmachen, weil sie eben mehr als reine „Wohlfühlfaktoren“ sind, sondern das Potenzial der Mitarbeiter*innen entfalten lassen.
Leadership Insiders: Und warum scheint dies in den Unternehmen noch keine bewährte Praxis zu sein? Zumindest deuten Studien bspw. des Gallup Umfrageinstituts aus dem Jahre 2018 daraufhin, dass es um die Führung in Deutschland aus Sicht der Geführten nicht gut bestellt ist. Der Anteil der Mitarbeiter*innen, die motiviert bei der Arbeit sind, liegt nur bei 15%. Der Großteil der Arbeitnehmer*innen macht mit 71% „Dienst nach Vorschrift“ und 14% haben sogar bereits innerlich gekündigt, wie Marco Nink vor einiger Zeit auswies. Bad Leadership scheint noch immer verbreitet. Woran kann das liegen?
Maren Urner: Weil das „statische Denken“ so sehr in uns verankert ist und natürlich auch überall die „alten Werte“ proklamiert werden – egal, ob in der (Führungskräfte)-Ausbildung oder den Medien. Es fehlt die Integration der psychologischen und biologischen Erkenntnisse, die allesamt belegen: Menschen, sind dann am kreativsten und gesündesten, wenn sie Selbstwirksamkeit erleben, sich psychologisch sicher fühlen und neugierig sein dürfen – ohne Angst vor Fehlern.
Damit Führungskräfte genau diese Kräfte wachkitzeln können, müssen sie sich vielleicht zunächst selbst besser verstehen. Dabei geht es um die Frage nach dem großen Ganzem, dem Sinn. Was macht mich glücklich? Warum stehe ich morgens auf? Was ist überhaupt meine Motivation, Verantwortung übernehmen zu wollen und zu führen? Es geht um Ehrlichkeit und den ehrlichen Blick auf das eigene Leben.
Nochmals: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der nicht nur Führungskräfte in Wirtschaft und Politik gefordert sind. Dafür müssen wir uns immer wieder bewusst machen, welche Geschichten und Vorstellungen unsere Werte und unser Handeln beeinflussen. Jede Entscheidung beginnt im eigenen Kopf, im Gehirn. Wir benötigen also mehr Kritisches Denken, bei dem wir lernen, uns selbst zu verstehen und zu hinterfragen. Genau das muss in der Ausbildung und darüber hinaus mehr Raum einnehmen als bisher.
Nur dann können wir begreifen, dass wir uns im großen Stil gesellschaftliche und organisationale Strukturen geschaffen haben, die uns häufig mehr schaden als nützen, weil wir unsere wahre Natur ignorieren und uns Geschichten wie die Geld-gleich-Glück-Fantasie an jeder Straßenecke erzählen. Es mangelt überall am Wissen darüber, was uns wirklich glücklich macht – obwohl die Forschungsergebnisse, wie gesagt, eine klare Sprache sprechen. So sind funktionierende soziale Beziehungen der wichtigste Faktor für ein gesundes und glückliches Leben.
Leadership Insiders: Es fängt also alles bei jedem Einzelnen und im eigenen Gehirn an. Neben den Neurowissenschaften und der Positiven Psychologie wird dies übrigens auch in neueren Führungstheorien wie der Authentischen Führungstheorie diskutiert. Hier wird auf die Bedeutung von Selbsterkenntnis für Führung explizit hingewiesen. Auch die Theorien der Selbstführung deuten in die Richtung: Man kann nur andere führen, sprich beeinflussen, wenn man sich auch selber führen kann. Ebenfalls setzt hier die Achtsamkeitsforschung an. Aber woran liegt es konkret, dass wir Menschen uns nicht besser verstehen wollen und uns teilweise, wie Sie in Ihrem Buch schreiben, einer Studie zur Folge sogar lieber selber Elektroschocks geben, anstatt mit Verunsicherung und Ungewissheit umzugehen?
Maren Urner: Ja die Studie, die Sie ansprechen ist, ist tatsächlich spannend und zeigt, dass die Ungewissheit, möglicherweise einen elektrischen Schlag zu bekommen, uns Menschen mehr stresst als die Gewissheit, definitiv einen solchen milden Schlag verabreicht zu bekommen Mit anderen Worten, unser Gehirn ist so konzipiert, dass wir ungewisse Zustände lieber vermeiden, wie ein Team um Archy de Berker vom Sobell Department of Motor Neuroscience and Movement Disorders am University College London in 2016 herausstellt. Dies zeigt eindrücklich, dass die vielleicht wichtigste Hürde auf dem Weg zur Selbsterkenntnis ist in unserem Gehirn begründet ist. Ich nenne es auch gern und sehr liebevoll unser Steinzeithirn, denn so faszinierend ich den Zellhaufen aus durchschnittliche 86 Milliarden Zellen in unserem Kopf finde, haben sich bestimmte grundlegende Funktionen seit der Steinzeit nicht geändert. Warum? Weil die zentrale Aufgabe des Gehirns darin besteht, den Organismus, in dem es steckt, am Leben zu halten.
Leadership Insiders: Steinzeithirn? Das hört sich so an, als würden wir Menschen über ein Gehirn verfügen, das nicht für unsere heutige komplexe digitalisierten (Arbeits)-Welt geeignet ist.
Maren Urner: Naja, das ist die Frage. Zumindest haben wir uns Strukturen geschaffen, die es gern mal überfordern und nicht immer förderlich für uns sind. Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie, Fast Food und Dauerverfügbarkeit.
Hinzu kommt, dass unser Gehirn alles andere als ein objektiver Informationsverarbeiter ist und wir endlich aufhören sollten, es mit einem Computer zu vergleichen. Unser Gehirn hat weder eine Taste zum Speichern noch eine zum Löschen. Jede unser Wahrnehmungen, Erinnerungen und Erfahrungen unterliegt zahlreichen Einflüssen, abhängig von der Genetik und unseren bisherigen Erfahrungen. Unser Gehirn ist also immer hochgradig subjektiv. Wir müssen lernen, damit besser und konstruktiver umzugehen.
Leadership Insiders: Wenn das menschliche Gehirn nicht objektiv ist, unterliegen wir also Verzerrungen. Was sind das konkret für Verzerrungen? Können Sie dies noch genauer ausführen?
Maren Urner: Zunächst einmal spreche ich statt von Verzerrungen lieber von Tendenzen, da zugrundeliegende Mechanismen, wie bereits kurz angedeutet, mit Blick auf das Überleben aus evolutionsbiologischer Perspektive durchaus sinnvoll sind. Allen voran unser Hang zum Negativen. Eine verpasste negative Nachricht oder Gefahr – vielleicht in Gestalt eines Mammuts oder Säbelzahntigers – könnte den Tod bedeuten. Nur haben wir in Zeiten von Smartphone und Dauerbeschallung mit News quasi den digitalen Säbelzahntiger in Dauerschleife. Das kreiert nicht nur ein zu negatives Weltbild bei uns, sondern kann uns auch krank und passiv machen.
Mit Blick auf die Herausforderung neues Wissen in unser Weltbild zu integrieren, sei kurz der sogenannte Bestätigungsfehler, „Confirmation Bias“ genannt. Generell funktioniert unser Gehirn wie ein Türsteher: Fakten, die nicht ins eigene Weltbild passen, bleiben draußen bzw. werden nur selten „reingelassen“. Wir alle tendieren also dazu, unser eigenes Weltbild lieber zu verfestigen statt es zu hinterfragen. Wie stark wir uns bei Informationen die Rosinen rauspicken, die ins eigene Weltbild passen, zeigten die amerikanischen Wissenschaftler Charles G. Lord, Lee Ross und Mark R. Lepper bereits 1979 in ihrem Aufsatz mit dem Titel „Biased Assimilation and Attitude Polarization: The Effects of Prior Theories on Subsequently Considered Evidence“ Sie legten Versuchsteilnehmern verschiedene Studien vor, die entweder zeigten, dass die Todesstrafe einen wirkungsvollen abschreckenden Effekt habe oder nicht. Die Diskussion um die Todesstrafe ist in den USA seit Jahrzehnten ein hoch emotionales und politisches Thema. Wie die Teilnehmer die Studien beurteilten, hing stark von ihrer Einstellung zur Todesstrafe ab: Befürworter zweifelten stärker an der Glaubwürdigkeit der Quelle, die gegen die Todesstrafe argumentierte. Die Qualität der Studie, die für die Todesstrafe argumentierte, nahmen sie wohlwollend an. Gegner der Todesstrafe zeigten das gleiche Argumentationsmuster aus ihrer Perspektive.
Genauso tendieren wir alle dazu, uns nicht in Situationen zu bringen, in denen wir unser Weltbild verteidigen müssen und umgeben uns lieber mit Informationen und Menschen, die unsere Überzeugungen teilen.
Wenn es ums eigene Ego geht, gilt das Gleiche: Wir wollen lieber wissen, wie schlau wir sind – statt wie dumm wir sind. Das beginnt bei unserem Selbstbild, welches wir zu schützen versuchen. 2011 ließen die Wissenschaftler David Eil und Justin M. Rao Versuchsteilnehmer entweder einen Intelligenztest machen oder ihre Attraktivität von anderen Teilnehmern bewerten. Im nächsten Schritt erhielten alle Teilnehmer eine Vorschau auf ihr Ergebnis, sodass sie einschätzen konnten, wie gut sie beim IQ-Test abgeschnitten haben oder wie attraktiv sie bewertet worden waren. Teilnehmer, die entgegen ihren eigenen Erwartungen eine schlechte Vorschau auf ihre Intelligenz oder ihr Aussehen erhielten, tendierten dazu, die vollständigen Ergebnisse nicht sehen zu wollen. Einige waren sogar bereit, dafür zu zahlen, um die Ergebnisse nicht sehen zu müssen. Das kann weitreichendere Folgen haben, wenn es nicht um Intelligenz und Aussehen geht, sondern um die eigene Gesundheit, Kaufentscheidungen von Produkten, die unter unmoralischen Bedingungen produziert werden, und das Verhalten gegenüber Menschen, die anders denken oder aussehen als wir.
Gleiches gilt für finanzielle und unternehmerische Entscheidungen. Eine Studie zeigt von Nachum Sicherman und Kollegen aus dem Jahr 2015 zeigt, dass Investoren es bspw. vermeiden, ihr Portfolio anzuschauen, wenn sie wissen, dass es auf dem Aktienmarkt nicht gut läuft. Boomt der Markt insgesamt, kontrollieren sie auch ihre eigenen Anlagen häufiger. Experimente zeigen auch, dass es – in den Experimenten waren es deutsche Führungskräfte – vermeiden, sich Argumente anzuhören, die ihrer zuvor getroffenen Entscheidung widersprechen, so ein Forschungsteam um Stefan Schulz-Hardt von der Universität Göttingen in 2000. Das gilt auch dann, wenn die Argumente dabei helfen könnten, negative Auswirkungen zu verhindern. Beide Taktiken sorgen dafür, dass wir nach der Auseinandersetzung mit einem Thema noch stärker vom eigenen Standpunkt überzeugt sind.
Leadership Insiders: Gibt es noch weitere dieser Tendenzen bzw. Taktiken?
Maren Urner: Ja, die Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir Kritisches Denken inklusive der damit einhergehenden Selbstreflexion als wichtigen Aspekt in Bildung und gesellschaftliche Strukturen integrieren. Dafür müssen wir nicht alle zu Psychologen und Neurowissenschaftlerinnen werden, aber sollten ein gewisses Grundverständnis für die Funktionsweise des eigenen Gehirns und damit verbundene Denk- und Verhaltensmuster bekommen. Das alles hat aus meiner Sicht sehr viel mit intellektueller Demut zu tun. Das schöne ist: Lassen wir uns einmal darauf ein, fühlt sich das richtig gut an! Wir Menschen sind ganz wunderbare Wesen, haben die genannten Tendenzen, aber können auch über uns hinauswachsen. Wie sonst wären wir auf den Mond geflogen, hätten Smartphones entwickelt und sind mittlerweile in der Lage innerhalb kürzester Zeit Impfstoffe für ein neuartiges Virus zu entwickeln? Wir müssen es „nur“ schaffen, die neueren Funktionsweisen unseres Gehirns zu stärken, die uns dabei helfen, ein gesundes und zufriedenes Leben zu führen. Dabei spielt der präfrontale Cortex, der nur beim Menschen besonders ausgeprägt ist, eine zentrale Rolle.
Leadership Insiders: Welche Funktionsweisen des präfrontalen Cortex haben Sie im Sinn?
Maren Urner: Der präfrontale Cortex lässt uns vorhersagen, planen und gibt uns Selbstbewusstsein. Er ist sozusagen die strukturelle Voraussetzung dafür, die es unserem Gehirn erlaubt, in jedem Moment – ich sage es mal bildlich – seine eigene, neue Melodie zu spielen. Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung, dass wir ab einem bestimmten Alter nichts Neues mehr lernen können, ist unser Gehirn ein plastisches Organ, das sich ein Leben lang verändert. Das zeigen uns die Ergebnisse neurowissenschaftlicher Studien der letzten Jahrzehnte. Die Aussage „Dafür bin ich zu alt“ hat also endgültig ausgedient.
Vielmehr hat jeder Mensch die Möglichkeit, sich aufgrund der Neuroplastizität ständig zu verändern – stärker noch: Wir können uns nicht nicht verändern. Die einzige Frage – und da sind wir wieder beim Thema Führung und Verantwortung – ist: Wie wollen wir uns verändern?
Leadership Insiders: Wie kann das für Führungskräfte in Unternehmen konkret aussehen?
Maren Urner: Zum einen sollten Führungskräfte vor allem neugierig sein. Neugierig auf die eigene Funktionsweise des Gehirns, auf die eigenen Wahrnehmungen und diese forschend und mit Interesse registrieren. Zudem sollten Führungskräfte diese Haltung vorleben – nur dann fühlen sich andere sicher und ermutigt, es ihnen nachzutun. Es geht darum, Neugier zur Gewohnheit zu machen, eine Lernkultur zu etablieren. Kollaboratives Lernen ist hier besonders förderlich, da wir Menschen soziale Wesen sind. Kompetenzentwicklung wie kritisches und wissenschaftliches Denken sollten aus den oben genannten Gründen in Unternehmen gefördert werden. Auch das Thema Gesundheit sollte ganz oben stehen. Last but not least gilt es bei allem einen lösungsorientierten Blick zu haben, denn: Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen.
Leadership Insiders: Sie haben uns hier einige spannende Lösungen aufgezeigt. Wir danken für das Gespräch Frau Urner.