Auf der Fortune-Liste der “World’s Most Admired Companies 2016” taucht unter den besten 50 gerade einmal ein deutsches Unternehmen auf (BWM Platz 18). Die ersten zehn Plätze belegen ausschließlich US-Unternehmen. Platz 1 (Apple) und 2 (Alphabet/Google) kommen aus dem Valley, andere hieraus vervollständigen u.a. die Liste.
Überhaupt das Valley: Für Startupsdie Referenz schlechthin, nirgends sind mehr Venture Capitalists unterwegs. Letztere finden sich geballt nur dort, wo große, wirkliche große Gewinne erspürt und erwartet werden. Oft sind darunter bereits erfolgreiche Entrepreneure, die nun wiederum ihr Geld gewinnträchtig anlegen und, das darf man nicht vergessen, gelegentlich einfach auch guten, verrückten Ideen eine Chance geben möchten. Und wohl nirgends wird mehr Geld gewonnen und verbrannt als dort. Denn das alte Gesetz, dass Risiko und Gewinn wie Verlust positiv korrelieren, kann auch hier unter extremsten Konkurrenzdruck nicht ausgehebelt werden. Abhalten tut dies die Wenigsten.
Für junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist der dortige Mikrokosmos faszinierend. Sie finden dort, was die Talentierten am Anfang so oft suchen: Mitwirken an Projekten, die die Welt verändern. Kurzum: Sinn. Und dann tritt das Garagenimage hinzu, eine Art Abenteuerspielplatz mit Underdog-Atmosphäre. Wo man noch sieht, was am Ende des Tages steht, und, ebenfalls motivierend, wo man weiß, wogegen man kämpft:
- Anonyme Großorganisationen
- Abtörnende Berechenbarkeit des Tages
- Lähmender Bürokratismus, ausgedacht von Bewahrern, die am Ende doch alles gegen die wegfegende Kraft unorthodoxer Ideen verlieren werden
- Nervtötende Routinen, die sich exemplarisch im Berichtswesen manifestieren, wo man wertvolle Zeit in fassadenbildende Erfolgsdarstellungen investiert, statt selbige zu erreichen
und natürlich
- Kampf gegen die Arroganz der Macht, die Anpassung fordert und eigene wie organisationale Entwicklung unterdrückt.
Was aber wenige wissen, weil es im hiesigen Umfeld oft vernachlässigt oder schlicht weggelächelt wird, aber für einige der Big Player im Valley Chefsache ist, schauen wir uns hier genauer an, nämlich:
Chancen zum Glücksempfinden durch Arbeit herbeizuführen.
Phil Libin, Mitbegründer, ehemaliger CEO und jetziger Executive Chairman von Evernote, der seine Company gerne 100 Jahre als ein Startup sehen würde, formuliert klar und deutlich:
Happiness matters, now more than ever.
Und hierfür wird bei Evernote einiges getan: Natürlich ist es die gelebte Faszination des Produkts und der Glaube an eine glorreiche Zukunft, aber es sind auch Formen der Arbeitsorganisation und des Personalmanagements, die von den 400 Beschäftigten als außerordentlich attraktiv erlebt werden: Eigener Pendelbus vom Heimatort zum Firmensitz mit W-LAN, Urlaubstage, deren Anzahl nicht vorgegeben wird, Teilnahme an Meetings vom Laufband aus, freies Essen und Trinken (fünf verschiedene Caterer an fünf Tagen), Fitnessarmbänder und dazu passende Fitnessräume, Zuschüsse für Elektroautos samt freiem Aufladen, Extrazuwendungen bei Geburten, $1000 für das Nehmen eines zusammenhängendes Urlaubs von mindestens einer Woche usw. usf.
Happiness–Survey und Googlegeist
Eine Ausnahme? Mitnichten: Google, der Antreiber für die Vermengung von Arbeit, Campusfeeling und Ferienresort, möchte die gesündesten und glücklichsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weltweit haben. Da ist es also wieder, das Glück. Und dazu passend wurde, wie der oberste Personalverantwortliche, Laszlo Bock, in seinem inspirierenden Buch „Work Rules!“ (2015/2016) schildert, ein Happiness Survey entwickelt, um dies auch messen zu können. Später legten die eigenen Ingenieure ein Ecstasy Survey nach (wäre das sprachlich in Ihrem Haus denkmöglich?). Schon wieder abgelöst durch den Googlegeist Survey. Googlegeist ist umfassender, wurde selbst – ohne Berater – entwickelt und von mehr als 50.000 Mitarbeitenden so getauft. 30 – 50% der Fragen werden jedes Jahr aktuellen Anliegen entsprechend gewechselt. 90% der Mitarbeitenden, eine Traumquote, nehmen dabei jedes Jahr teil. Google weiß aber, dass dies kein Selbstläufer ist und versucht seismographisch, Akzeptanzveränderungen zu erkennen.
Positive Psychologie als Schlüssel
Man könnte diese Beispiele fortsetzen, vielleicht machen wir dies bei Gelegenheit auch. Die Beschreibung ist wertvoll, aber sie liefert uns keine Gründe. Deshalb wollen wir sehen, was die Wissenschaft zur Bedeutung des Glücks im Arbeitsprozess sagt.
Generell ist festzustellen, dass der Stellenwert der Glücksforschung in den letzten zehn Jahren zugenommen hat. Dies korreliert eng mit dem Siegeszug der Positiven Psychologie, die ich in meinem Werk „Personalführung“ (2016 und die dortige Literatur) ausführlicher vorgestellt habe. Und sofort kommen die Führungskräfte ins Spiel. Danach ist es Aufgabe einer Führungskraft, sei es unter der Flagge der Nachhaltigkeit, der Ethik, der Produktivität, der Personalbindung oder der Personalakquisition, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durch die Gestaltung der Arbeit und durch eine positive Interaktion Möglichkeiten zu eröffnen, Glückserlebnisse zu empfinden.
Warum und wie dies gelingen kann, zeigt die Positive Psychologie dabei selbst auf. Klare Zusammenhänge zu den Forschungen zur Arbeitszufriedenheit, zur Gerechtigkeit oder zur intrinsischen Motivation werden ausgewiesen. Es geht darum, die Fähigkeit des Teammitglieds, positiv zu denken und sich den eigenen Interessen entsprechend positiv zu entwickeln, aktiv zu unterstützen. Es ist zunächst eine Selbstverpflichtung. Lindert aber auch Loyalitätsprobleme dem Arbeitgeber gegenüber. Und steigert (theoriegemäß) die Effizienz der Abteilung.
Authentisches Glücksempfinden
Zentrale Begrifflichkeiten sind hier Inspiration, Hoffnung, Vertrauen oder Optimismus, die durch Lernerfahrungen gestärkt werden können. Seligman (2002), der nun doch hier explizit genannt werden muss, spricht vom „gelernten Optimismus“, der zu einem authentischen Glücksempfinden führen könne. Das Glücksempfinden forme sich dann aus, wenn man positive Emotionen auslebe und Fähigkeiten entwickle, diese zu stützen. Ebenso, wenn man eigene Stärken entfalten könne und seine Talente für eine Anbindung und Einbindung in etwas verspüre, dass über das eigene Selbst hinausgehe.
Eine zentrale Grundlage zum Verständnis der günstigen Wirkung positiver Emotionen ist die Broaden-and-Build Theorie. Entsprechend dem Namen dieser Theorie erweitern positive Emotionen die kognitiven Denkprozesse und bilden damit die Basis für den Aufbau neuer handfester Ressourcen und Fähigkeiten (z.B. soziale Unterstützung oder Wissen), die dann wiederum langfristige Auswirkungen auf das psychische und physische Wohlbefinden haben. Dies löst wiederum positive Emotionen aus. Eine Positivspirale ist in Gang gesetzt.
Positives Führungsverhalten
Man spricht auch davon, dass das psychologische Kapital steigt. Selbstwirksamkeit, also Einfluss auf Geschehnisse zu haben, ist dafür zentral. Forscherinnen und Forscher konnten bei einem als „Positive Leadership“ bezeichneten Führungsstil einen Zusammenhang mit positiven Affekt und Wohlbefinden bei Mitarbeitern nachweisen. Des Weiteren zeigen die Daten einer anderen groß angelegten Mitarbeiterbefragung (n = 28.223), dass Führung und Vorgesetztenverhalten einen wichtigen Einfluss auf den Umgang mit (stressfördernden) Belastungen haben. Positive Einschätzungen des Vorgesetztenverhaltens von Mitarbeitern führten zu geringeren Angaben von gesundheitlichen Beschwerden und einem höheren Wohlbefinden. Dazu passt auch, dass ein Führungsverhalten, das vor allem die Beziehungsqualität entwicklungsorientiert fokussiert, das erlebte geführtenseitige Wohlbefinden günstig beeinflusst.
Glück ist kein Luxus
Bereits die Väter der US-amerikanischen Verfassung sahen Glück nicht als ein add-on, sondern als eine Basis der menschlichen (politischen) Existenz und der Demokratie. Wer dies als Führungskraft als wünschenswerte Möglichkeit, die es anzustreben gilt, ignoriert und sich in technokratisch-funktionalistischem Sprech geistig erschöpft, ist offensichtlich weder historisch noch aktuell auf dem Laufenden. Ob das von der Führungskraft (und der Organisation) unterstützte Streben dann zum Ziel führt, steht auf einem anderen Blatt.
Oder fragen wir anders: Wo möchten Sie lieber arbeiten: Dort, wo Sie aufgrund der Arbeit und/oder Kollegen oder Kolleginnen (gelegentlich) Glückserlebnisse empfinden oder dort, wo der Freitag der einzige Anlass dafür sein könnte, wäre man nicht schon so frustriert von der Woche? Eine rhetorische Frage, gerade für die Generation Z und alle ehrlich an sinnvoller Leistung Interessierten. Aber sie zeigt im Verbund mit unseren Beispielen sehr schön auf, warum das Streben nach Glück in der Arbeit prinzipiell berechtigt einzufordern ist – und Maxime von einigen der erfolgreichsten und bewundertsten Unternehmen der Welt und der in ihnen wirkenden Führungskräfte ist.
Wird Ihnen dieses Streben nach Glück verwehrt, suchen Sie Ihr Glück doch woanders, wäre hieraus die Botschaft. Viele haben es schon rund 9.000 km entfernt gefunden. Manche aber auch gleich nebenan.
Anmerkung: Dies ist keine Idealisierung des Valleys, aber ein Verweis auf die dortigen Möglichkeiten. Die Gefahren einer umsorgenden Einbettung und Einbindung, die im Extrem quasi totalitäre Züge annehmen kann, wird ein anderes Mal möglicherweise aufgegriffen. Wer nicht warten kann, für den ist der anspruchsvolle Text von Annemarie Bauer und Marlies W. Fröse aus 2015 anregend wie zweckdienlich.