Das Hochstaplerphänomen (auch „Impostor-Syndrom“ oder „Impostor-Phänomen“ genannt) beschreibt ein psychologisches Muster, bei dem Menschen trotz offensichtlicher Erfolge an ihren eigenen Fähigkeiten zweifeln und befürchten, als „Betrüger“ entlarvt zu werden. Es sind also die Personen selbst, die sich für einen Hochstapler bzw. eine Hochstaplerin halten und nicht andere, beispielsweise die Kollegenschaft. Genauer formulieren  Guilfor u.a. (235) in Anlehnung an die „Entdeckerinnen“, Pauline Clance und Suzanne Imes aus 1978, das Hochstaplerphänomen

als die Erfahrung von intellektuellem Betrug und Angst vor Entlarvung, bei der der Einzelne glaubt, dass er anderen vorgaukelt, dass sie glauben, sie seien kompetenter, als sie tatsächlich sind, obwohl ihre Kompetenz eindeutig nachgewiesen ist“.

Wendeltreppe von oben

Ryoji Iwata/Unsplash

Personen, die unter dieser, auch Syndrom statt Phänomen genannten Selbsteinschätzung leiden, können ihre eigenen Leistungen nur schwer verinnerlichen und führen ihre Erfolge oftmals beständig eher auf externe Faktoren wie Glück oder günstiges Timing zurück, statt auf ihre eigenen Kompetenzen. Durchaus gibt es aber auch die Beobachtung einer Schwankung zwischen einer egomanischen Überzeugung des Alles-Gelingen-Könnens und einer nahezu depressiven Einschätzung des Totalversagens. Obwohl das Phänomen nicht offiziell als psychische Störung in diagnostischen Handbüchern wie dem DSM-5 klassifiziert ist, wird es in der psychologischen Forschung intensiv untersucht, da es das Wohlbefinden, die mentale Gesundheit und die Leistung der Betroffenen erheblich beeinflussen kann.

Ursprünge und Konzeptualisierung des Hochstaplerphänomens

Zu Beginn konzentrierten sich Studien auf leistungsstarke Frauen, die trotz ihrer beruflichen Erfolge häufig das Gefühl hatten, ihre Erfolge nicht zu verdienen. Das bereits genannte Forscherinnenduo Clance und Imes identifizierten dabei bestimmte Muster, darunter den Hang zur Überarbeitung, Perfektionismus und eine starke Angst vor dem Versagen, die das Phänomen kennzeichnen. Spätere Studien zeigten jedoch, dass das Phänomen in unterschiedlichen Geschlechtern, Altersgruppen und beruflichen Feldern verbreitet ist.

Vom Hochstaplerphänomen vor allem betroffene Gruppen

Das Hochstaplerphänomen tritt in vielen Bevölkerungsgruppen auf, insbesondere unter leistungsstarken Personen in wettbewerbsintensiven Bereichen wie der Wissenschaft, der Medizin, der Rechtswissenschaft und im Unternehmensumfeld. Studien legen nahe, dass etwa 70 % der Menschen im Laufe ihres Lebens Phasen erleben, in denen sie sich wie Hochstapler fühlen (Gravois, 2007). Besonders häufig tritt das Phänomen in Übergangsphasen auf, etwa beim Wechsel in eine neue berufliche Position oder in ein akademisches Programm, in denen die Betroffenen einem höheren Leistungsdruck ausgesetzt sind. Beim Stichwort Wechsel in eine neue berufliche Position scheint erwähnenswert, dass bei gleichzeitiger vergleichsweise niedrigerer angenommener Erfolgswahrscheinlichkeit mehr Anstrengung in die Bewerbung gesteckt wird. Pia Magdalena Brandt und ihr Team fanden in 2024 durch eine computerbasierte Sprachanalyse zudem heraus, dass das sprachliche Profil zu einer vorsichtigeren, spezifischeren und auch rechtfertigenden Sprache tendiert.

Neuere Untersuchungen betonen zudem, dass das Hochstapler-Syndrom nicht geschlechtsspezifisch ist und sowohl Männer als auch Frauen betrifft, wenngleich die Ausprägungen und die Art der Selbstzweifel zwischen den Geschlechtern variieren können. Von einem Hochstaplerphänomen als Problem zu sprechen ist in meinen Augen dabei nur sinnvoll, wenn es sich als Selbstwahrnehmung längere Zeit, ggf. sehr stabil, durchzieht. Deswegen waren zunächst Ansichten verbreitet, es als eine (kaum zu verbessernde) Eigenschaft anzusehen, was in Kombination mit der Geschlechterverteilung ein undifferenziert ungünstiges Gewicht auf die Einnahme von Führungspositionen für Frauen wirft, denn die psychischen Belastungen können extrem sein. Heute wird es nahezu gleichrangig als eine umfeldbezogene Aneignung eines ungünstigen Erfolgsmusters angesehen, dass auf eine realistische Basis zurückentwickelt werden kann.

Psychologische Faktoren und Auswirkungen des Hochstaplerphänomens

Das Hochstapler-Syndrom ist eng mit verschiedenen psychologischen Faktoren verbunden, wie geringem Selbstwertgefühl, Perfektionismus und überhöhten Selbstansprüchen. Betroffene empfinden des Weiteren eine Diskrepanz zwischen ihrem Selbstbild und der Wahrnehmung durch andere. Dies führt dazu, sich ständig selbst in Frage zu stellen und das Gefühl zu haben, Erfolge nicht verdient zu haben. Sobald dieses Syndrom manifest ausgeprägt ist, fühlt man sich vielleicht wie Sisyphos, den zwar Albert Camus uns als einen glücklichen Menschen vorstellt, aber landläufig doch eher mit der Vergeblichkeit des eigenen Tuns  assoziiert wird.

Die Auswirkungen des Hochstaplerphänomens können erheblich sein. Betroffene leiden häufig unter erhöhtem Stress, Arbeitsunzufriedenheit, Angstzuständen und im extrem an Depressionen. Im beruflichen Kontext kann das Syndrom zu Selbstsabotage führen, etwa durch das Vermeiden von Herausforderungen oder dem Rückzug aus Situationen, in denen sie sich beurteilt fühlen. Die Work-Life-Balance mit damit einhergehenden Konflikten gehört auch dazu. Negative Emotionen wie Scham tun ihr Übriges. Zugleich berichten viele Betroffene von einem „Überkompensationsverhalten“, bei dem sie versuchen, durch exzessive Arbeitsleistung oder Perfektionismus ihre vermeintliche Unzulänglichkeit auszugleichen – dies bei geringen Karriereoptimismus, Zurückhaltung bei entscheidenden Weichenstellungen für ihre Karriere, nachlassender Kreativität. Natürlich muss man wissen, dass Persönlichkeitsfaktoren wie situative Bedingungen diese (erworbene) Neigung moderieren.

Bewältigungsstrategien und Interventionen

In der Forschung werden verschiedene Ansätze zur Bewältigung des Hochstaplerphänomens untersucht. Diese beziehen sich vorzugsweise auf eine starke Ausprägung – und setzen damit spät an. Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) gilt jenseits erster Interventionen im direkten Umfeld als eine der wirksamsten Methoden, um bereits sehr belastende negative Gedankenmuster zu hinterfragen und realistischere Selbstbewertungen zu fördern. Gruppentherapien und Selbsthilfegruppen können ebenfalls hilfreich sein, da sie den Austausch mit Gleichgesinnten ermöglichen und das Gefühl der Isolation mindern. Ein wichtiger Aspekt der Therapie besteht darin, Erfolge anzuerkennen und die Fähigkeit zu entwickeln, diese als Ergebnis eigener Anstrengungen und Fähigkeiten zu akzeptieren. Psychoanalytische Herangehensweisen würden stärker auf die unbewussten entwicklungsgeschichtlichen Gründe der Ausprägung dieses Phänomens abstellen, um darauf fußend die Furcht, die einen geradezu verfolgt, wie Mirjam Zanchetta in 2020 ihren Gemeinschaftsbeitrag betitelt, zu verlieren, zu minimieren oder zu regulieren. Sie und das Team zielen aber selbst mit klassischer Methode auf die Veränderung des Mindsets ab und weisen dem Coaching als Ergebnis eine hilfreiche Funktion zu.

Darüber hinaus werden zunehmend präventive Maßnahmen am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen diskutiert, um das Wohlbefinden der Betroffenen zu fördern. Dazu zählen Mentoring-Programme, die gezielte Unterstützung und positive Rückmeldungen bieten, sowie Schulungen für Führungskräfte, um ein unterstützendes Arbeitsklima zu schaffen. Diese Maßnahmen sollen dazu beitragen, das Selbstvertrauen der Betroffenen zu stärken und die negativen Auswirkungen des Hochstaplerphänomens zu mildern.

Das Hochstaplerphänomen – Was am Ende bleibt

Das Hochstapler-Syndrom ist ein weit verbreitetes Phänomen, das Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter und beruflichem Hintergrund betrifft. Es ist eng verknüpft mit Selbstzweifeln, Perfektionismus und der Angst, den eigenen Erfolg nicht verdient zu haben. Die Forschung hat gezeigt, dass die psychologischen und beruflichen Folgen erheblich sein können, gleichzeitig aber auch durch gezielte persönliche, ggf. therapeutische Interventionen und unterstützende Maßnahmen zu lindern sind.

Basima Tewfik, Assistant Professor of Work and Organization Studies an der MIT Sloan School of Management, die den Ausdruck des für sie zu stark emotionalisierten Begriff des „Phänomens“ vermeidet und stattdessen von „Hochstaplergedanken am Arbeitsplatz“ sprechen möchte, kann dem dann offensichtlich abgemilderten, man könnte sagen, eher „normalen“ und nicht so sehr sich am bereits Klinischen sich bewegenden Ausprägungen auch Positives abgewinnen. Damit kehrt sie zu früheren Aussagen zurück, die dieses Phänomen nicht zwangsläufig als selbstzerstörerisch bewertet haben, sondern nur als eine Entwicklungslinie begreifen. Diese Personengruppe unterhält nach ihrer umfangreichen Studie aus 2022 intensive soziale Beziehungen am Arbeitsplatz, was für sie und andere als hilfreich erlebt wird. Diese Hinwendung erfolgt zwar aufgrund eines abgeschwächten Selbstwertgefühls, zeitigt dennoch positive Resultate für das Team und kann durch die nun intensivere Kommunikation mit anderen, die zu einer besseren Wahrnehmung der eigenen Person durch andere führt – also den selbstbezogenen Gedankenfluss durchbricht -, für einen selbst erhellend sein.

So oder so: Der Umgang mit dem Hochstaplerphänomen bleibt ein relevantes Thema, insbesondere in einer Gesellschaft, die hohe Leistungsansprüche stellt und in der der Druck, sich ständig zu beweisen, groß ist. Gerade dort, wo Führungskräfte das Gefühl haben, dass Mitarbeitende kontinuierlich nach Perfektion streben und/oder offensichtlich tolle Leistungen von einzelnen Mitarbeitenden kontrafaktisch beständig ungünstig, also extern attribuiert werden, ist ein genauerer Blick seitens der Führenden angebracht.

Brandt, P. M., Ibrahim, F., & Herzberg, P. Y. (2024). The (linguistic) profile of the impostor phenomenon: Implications for job application.Zeitschrift für Psychologie, 232(3), 191–199. https://doi.org/10.1027/2151-2604/a000562

Clance, P. R., & Imes, S. A. (1978). The imposter phenomenon in high achieving women: Dynamics and therapeutic intervention. Psychotherapy: Theory, Research & Practice, 15(3), 241–247. https://doi.org/10.1037/h0086006

Gravois, J. (2007). You’re not fooling anyone. The Chronicle of Higher Education, 54, 1. Retrieved April 15, 2018, from https://www.chronicle.com/article/Youre-Not-FoolingAnyone/28069

Guilfor, D. P. u.a. (2024). The impostor phenomenon at work. A systematic evidence-based review, conceptual development, and agenda for future research. Journal of Organizational Behavior, 45, 234-251

Tewfik, B. (2022). The impostor phenomenon revisited: Examining the relationship between workplace impostor thoughts and interpersonal effectiveness at work. Academy of Management Journal, 65(3), 988–1018

Zanchetta, M., Junker, S., Wolf, A.-M., & Traut-Mattausch, E. (2020). “Overcoming the fear that haunts your success”—The effectiveness of interventions for reducing the impostor phenomenon. Frontiers in Psychology, 11, Article 405. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.00405