Welche Führungskraft hat sich noch nicht über zu wenig Kooperation im Team gewundert, oder geärgert? Mangelt es am Ende dem ganzen Team an kooperativem Verhalten, hat die Führungskraft ein massives Problem. Jeder, der Führungsverantwortung trägt, kann mit der Frage konfrontiert werden, wie kooperative Verhaltensweisen im Team verbessert und gefördert werden können. Die Kooperationsmotivation bei den Mitarbeitern durch das Ermöglichen von Reputationsgewinnen zu erhöhen, wäre hier eine begründete Führungsstrategie.
Kooperatives Verhalten und Kooperation
Personenmehrheiten zu führen ist Bestandteil des modernen Führungsalltages. Zahlreiche, insbesondere komplexere Problemstellungen können in Organisationen heute nur noch auf dem Wege einer engen (und gelingenden!) Kooperation zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewältigt werden. Dahinter steht die Erkenntnis, dass (nur) durch die Kooperation zweier oder mehrerer Mitarbeiter Synergieeffekte entstehen, die es erlauben, anspruchsvolle Arbeitsaufgaben effektiv anzugehen und/oder kosteneffizient zu bewältigen. Denken wir z. B. an die Neuproduktentwicklung, an eine Softwareprogrammierung oder an eine (so etwas soll es ja geben) mit dem Vertrieb abgestimmte Marketingkampagne (Weibler 2016).
Merke jedoch: Diese Form der zweckgerichteten Zusammenarbeit, die Mitarbeiter in Gruppen bindet, führt nicht automatisch dazu, dass diese auch tatsächlich miteinander kooperieren, schon gar nicht über das formal zwingende Maß hinaus. Denken wir aber gleichermaßen an die vielen Begebenheiten im Arbeitsleben, die freiwillig angebotene Kooperation verlangen oder alles vereinfachen.
In jeder größeren Gruppe gibt es jedoch unkooperative Verhaltensneigungen. Man mag dies individuell erklären können, aber übergreifend ist an Folgendes zu erinnern:
Eine strikt kalkulative Betrachtung trägt nach vorne, dass ein kooperatives Verhalten eigene Ressourcen zum Wohle anderer bindet (z.B. informelle Übernahme eines Lieferantenbriefings für den überlasteten Kollegen, alleinige Fertigstellung eines gemeinsamen Berichtes) oder unnötige persönliche Risiken beinhalten kann (z.B. von sich aus auf Fehlentwicklungen beim ungeliebten Projektpartner aufmerksam machen, Karrierechancen beidseitig erhöhen). Dann bleibt noch unsicher, ob es bei eigenem Unterstützungsbedarf von anderen gezeigt wird.
Verhaltensökonomische Studien, also realitätssimulierende Modelle, taxieren den Anteil von unkooperativen Gruppenmitgliedern auf rund 30% (Fehr/Schmidt 2006). Bedenkenswert für die Führungspraxis ist dabei im Besonderen, dass unkooperative Individuen die Kooperationsbereitschaft der gesamten Gruppe in eine Abwärtsspirale führen können (Axelrod 1984). Oft sind es Kleinigkeiten, die dann eskalieren. An deren Ende bleibt das Team dann nicht nur weit hinter seinem Leistungspotenzial zurück, sondern auch die Wahrnehmung des gesamten Arbeitsumfeldes wird nun unvorteilhaft verzerrt. Erfolgreiche Führung bedeutet vor diesem Hintergrund: Eingreifen, und zwar frühzeitig, um hinderliche Konfrontationen zu vermeiden und die notwendige Kooperation zu sichern. Es gilt mithin, ein Mitarbeiterproblem nicht zum Führungsproblem werden zu lassen! (Wir klammern hier Effekte durch die Arbeitsumgebung und Vorgesetzte selbst aus).
Kooperatives Verhalten fördern
Was aber kann ein Führender machen, wenn sich kein kooperatives Gefüge zwischen den Mitarbeitern etabliert, sich einige Teammitglieder gar eindeutig unkooperativ verhalten? Eine Antwort darauf geben Gianluca Grimalda u.a. (2016) in ihrer sehr anschaulichen Studie, die jüngst in der renommierten Zeitschrift Nature Communications erschienen ist. Die Autoren zeigen in ihrer Untersuchung, dass Menschen beginnen, sich kooperativer und auch gemeinschaftsorientierter zu verhalten, wenn sie dadurch ihr eigenes Ansehen in der Gruppe mehren können.
Um den Einfluss von Reputationsüberlegungen auf kooperatives Verhalten von Gruppenmitgliedern in möglichst ursprünglichen Gemeinschaften zu studieren, wählten die Forscher ein überaus passendes, aber auch höchst außergewöhnliches Setting. Sie ließen nämlich Menschen aus dem indigenen Volk der Teop in Papua-Neuguinea ein in der westlichen Wissenschaft extrem beliebtes Spiel spielen, das sogenannte Gefangenendilemma.
Die Teop leben auf der Insel Bougainville, einer autonomen Region Papua-Neuguineas, in Dorfstrukturen. Zu jeweils ungefähr 150 Personen betreiben sie dort hauptsächlich Subsistenzwirtschaft. Jedem Dorf steht ein Dorfältester, genannt „Big Man“, vor. Dieser fungiert als moralische Instanz und nutzt seine Autorität, um Konflikte innerhalb seiner jeweiligen Dorfgemeinde zu schlichten und soziale Normen durchzusetzen. Selbst ist er Mittelpunkt des dörflichen Netzwerkes und steht damit im Zentrum des Informationsflusses.
Das Gefangenendilemma repräsentiert einen prototypischen Kooperationskonflikt. Dort haben die Akteure, ohne sich zu besprechen, die Wahl, zu kooperieren oder nicht zu kooperieren. Der Einzelne stellt sich bei der Konstruktion des Spiels in der Ursprungsvariante am besten, wenn er nicht mit dem Gegenüber kooperiert, dieser aber wiederum die Kooperation sucht. Wer die Reinform des Spiels und eine zusätzliche Anwendung genauer studieren möchte, dem sei das folgende, ausführliche Beispiel nach der Lektüre dieses Beitrages anempfohlen.
Das Experiment
In der Basiseinstellung dieses Spiels konnte Einkommen erzielt werden. Wie viel, hing von dem jeweiligen Verhalten der beiden Spieler (Stammesmitglieder) ab. 143 Männer und 129 Frauen aus acht verschiedenen Dörfern nahmen daran teil. Die beiden Spieler hatten jeweils die Möglichkeit, den zu Beginn zugewiesenen Betrag (10 Kina) sicher zu behalten oder risikobehaftet in einen Topf zu legen (kooperatives Verhalten im Sinne der Maximierung des gemeinsamen, gleichverteilten Gewinns). Der in den Topf gelegte Betrag wurde verdoppelt. Der eigene Anteil, dann verdoppelt, floss jeweils dem Mitspieler zu. Eine Kommunikation fand nicht statt, jeder agierte für sich.
Die Auszahlungsmatrix war so ausgelegt, dass ein unkooperatives Verhalten einer Person den eigenen Gewinn maximierte (30 Kina), sofern sich die andere Person kooperativ verhielt. Verhielten sich beide kooperativ, erreichte der Einzelne zwar nicht das für ihn mögliche Maximum, der addierte gemeinsame Gewinn (40 Kina) erreichte jedoch den möglichen Höchstwert. Eine Kooperation kam dadurch zustande, dass beide ihren ihnen fest zugesicherten Grundbetrag (10 Kina) – sofern sie nicht spielten – zunächst zurückgaben, bevor er dann wiederum beiden anteilig zufloss. Entschieden sich beide für eine unkooperative Verhaltensweise, wurde der geringste Betrag pro Kopf ausgezahlt (eben der Grundbetrag, 10 Kina, ungefähr drei Euro, den man erst gar nicht einsetzte).
Spieler A Spieler B |
kooperieren | nicht kooperieren |
---|---|---|
kooperieren | 20 Kina / 20 Kina | 0 Kina / 30 Kina |
nicht kooperieren | 30 Kina / 0 Kina | 10 Kina / 10 Kina |
Tabelle 1: Auszahlungsmatrix des Experimentes zur Kooperation (Grimalda u.a. 2016)
Um den Einfluss von Reputationsüberlegungen auf kooperatives Verhalten zu untersuchen, ließen die Forscher in der ersten Variante die Entscheidungen der Teilnehmer eines Dorfes von dem verantwortlichen Dorfältesten („Big Man“) beobachten. In einer weiteren Variante ersetzte ein „externer Big Man“ – aus einer anderen ethno-linguistischen Gruppe auf Bougainville – den lokalen Dorfältesten als Beobachter des Spielverhaltens der Teilnehmenden. Die „Big Man“- und „externer Big Man“-Varianten des Gefangenendilemmas unterschieden sich somit in der sozialen Distanz der Teilnehmer zu dem jeweiligen Big Man und in deren unterschiedlich empfundener Autorität.
Die Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie geben ein klares Bild: War der eigene Dorfälteste während der Entscheidung anwesend, dann verhielten sich die Teilnehmenden signifikant öfter kooperativ (64%) als im Vergleich zur Basisvariante unter Anonymität (47%), oder wenn ein Big Man aus einer anderen Region die Teilnehmenden beobachtete (40%). Die durch den eigenen Dorfältesten bedingte höhere Kooperationsrate führte in der Folge auch zu den durchschnittlich höchsten individuellen Gewinnen aller Varianten pro Kopf. Als interessant zu vermerken ist im Übrigen allerdings auch: Stammte der anwesende „Big Man“ nicht aus dem eigenen Dorf, sank die Kooperationsbereitschaft sogar noch unter das Maß der anonymen Basisvariante.
Die Autoren der Studie interpretieren die signifikante Zunahme des kooperativen Verhaltens in der „Big Man-Variante“ als Beweis dafür, dass die Teilnehmer durch die Anwesenheit ihres lokalen Dorfältesten motiviert wurden, ihr eigenes soziales Ansehen in der Gruppe durch kooperatives Verhalten zu mehren. Die Idee dahinter ist, dass der Dorfälteste eine Mittlerrolle in der Dorfgemeinschaft innehat und kooperatives Verhalten über ihn an alle anderen Dorfbewohner weitergetragen wird. Dies hat direkte Konsequenzen für die eigene Reputation und nachfolgende Interaktionen mit den anderen Dorfbewohnern. Bei einer externen Autoritätsperson oder in Abwesenheit eines Beobachters kann man hingegen durch kooperatives Verhalten keinen Vorteil für die eigene Reputation erlangen, da es an einem vertrauenswürdigen Botschafter mangelt, der das eigene Handeln an die relevante soziale Gruppe kommuniziert. Hier ist die Neigung zur „Nicht-Kooperation“ entsprechend höher.
Folgen für die Führungspraxis
Die Frage ist nun: Was kann der Führungspraktiker für seinen Umgang mit dem eigenen Team aus diesen Ergebnissen lernen? Bislang Folgendes:
- Erstens:
Unkooperatives Verhalten ist kein Regelfall, sondern ein Minderheitenverhalten.
- Zweitens:
Menschen trachten nach sozialem Ansehen.
- Drittens – und vor allem:
Kooperatives Verhalten kann durch eine anerkannte Amtsautorität, einer Machtbase von Führung, günstig beeinflusst werden und – weitergedacht – durch ein darauf fußendes aktives, sichtbares Führungsverhalten angeregt werden.
Nun sind Vorgesetzte, wie in unserem Beispiel der Dorfälteste, nicht omnipräsent. Auch würden anderenorts gepflegte Sozialpraktiken, durch aufgehängte Bilder Präsenz zu simulieren, hierzulande vermutlich auf wenig Gegenliebe stoßen, wiewohl Experimente zeigen, dass bereits auf dem Bildschirm stilisiert abgebildete Augenpaare konformes Verhalten mit provozieren (Haley/Fessler 2005). Aber Vorgesetzte können spontan auf beobachtetes Verhalten reagieren oder im Rückblick Verhalten von Teammitgliedern zum Gegenstand der eigenen kommunizierten Einschätzung machen.
Dies ist effektiv! Die Erkenntnisse aus der skizzierten empirischen Studie, die den Einfluss des Führenden auf das Kooperationsverhalten in der Gruppe herausstreichen, sind im Rahmen konstruierter wie natürlicher Settings bereits mehrfach herausgestellt worden (z.B. in einer verhaltensökonomischen Studie von Güth u.a. 2007 oder innerhalb der zahlreichen Befunde aus der transformationalen Führungsforschung). Hier, und das verdient, hervorgehoben zu werden, richten wir unseren Fokus im Besonderen auf die Macht des sozialen Ansehens. Möchte man mit seinem Führungshandeln den gleichen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit der eigenen Mitarbeiter erzielen wie der „Big Man“ durch seine bloße Präsenz auf seine Dorfbewohner, müssen Führende jedoch notwendige Voraussetzungen erfüllen.
Der Dorfälteste ist kein abgehobener Vorsteher der Gemeinde, sondern eine moralische Instanz. Heruntergebrochen auf die Führungspraxis in Organisationen heißt dies, dass Führende als moralischer Impulsgeber für bevorzugte Werte und Normen anerkannt sein müssen (Stichwort: Integrität), um das damit korrespondierende Verhalten (hier: ein kooperatives) im Team durch Worte, Gesten, Symbole oder Taten erfolgreich zu vermitteln. Auch durch eigenes Vorbild (z.B. in einem Meeting) fördern sie also die natürliche Neigung zur Kooperation und erhöhen die „sozialen Kosten“ des Teammitgliedes bei einer eigennützigen Abweichung davon. Die Mission ist erst dann vollständig gelungen, wenn kooperatives Verhalten auch ohne ihre Anwesenheit praktiziert wird.
Aus Teamsicht ist diese Einwirkung eine günstige und effektive Form, die mit der Hoffnung verbunden sein darf, dass die Neigung zur Kooperation auch dort selbsttragend stabilisiert wird, wo sich gegenteiliges Verhalten vor allem aufgrund negativer Lernerfahrungen herausbildete..
Fazit
Führende schaffen allein durch die Sichtbarmachung bzw. Hervorhebung kooperativen Verhaltens und dem Aufzeigen der Folgen für die Gruppe einen Anreiz, sich prosozial zu verhalten. Wer die mehrheitlich geteilten Gruppenwerte, die nach Auffassung der Führungskraft Anerkennung verdienen, dann in seinem Verhalten verkörpert und zu Leistungsbeiträgen bereit ist, die andere oder das ganze Team nach vorne bringen, findet im Regelfall über kurz oder lang die Anerkennung seiner Teamkollegen und Teamkolleginnen. Dazu liegt Führungswissen anderenorts ebenfalls vor. Das Streben nach sozialem Ansehen, das über kooperatives Verhalten gelenkt gewonnen wird, ist ein mächtiger Motivator. Kurioserweise wird das selbstbezogene Bedürfnis nach Anerkennung und Ansehen (eine Form des sozialen Kapitals) in der Folge durch die Wertschätzung anderer befriedigt. Weitere Studien zeigen, dass dies schon bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen Gültigkeit besitzt und auch interkulturell von Belang ist (Blakemore u.a. 2014; Leimgruber u.a. 2012). Damit setzt diese Führungsstrategie auf festem Grund auf.