Das Titelzitat aus Schillers „Wallenstein“ fällt in dem Moment, als der Lieblingsgefolgsmann Wallensteins, Max Piccolomini, vom General in die Pflicht genommen wird. Damit ist es mit der Schonzeit der Jugend vorbei. Wenn das Top-Management Jüngstenräte etabliert, um die Sicht der Dinge einer anderen Generation in Erfahrung zu bringen, wird dieser Generation so auch unweigerlich eine erweiterte Verantwortung übertragen. Dies ähnelt dann auch stark der veränderten Erwartungshaltung an eine Führungsbeziehung im Sinne des New Work. Leadership Insiders erklärt den Hintergrund und gewährt Einblicke anhand zweier Fallbeispiele (Axel Springer, Jung von Matt).
Was ist ein Youth Council (Jugendrat/Jüngstenrat)? – Hintergrund
Jugendliche haben andere Bedürfnisse, Interessen, Ziele und Zeithorizonte als Erwachsene. In dieser Hinsicht sind sie eine homogene Gruppe, auch wenn die konkreten Ausformungen beträchtlich variieren können. Ihr Einfluss auf Entscheidungen, die auch ihre Situation und Zukunft betreffen, ist häufig allerdings gering. Denn sie befinden sich i. d. R. in keinen machtvollen gesellschaftlichen Positionen und sie sind demnach darauf angewiesen, dass sich andere ihrer stellvertretend annehmen.
Im Politikbetrieb wurde diese Problematik schon frühzeitig erkannt. Um Jugendlichen einen originären Zugang zu sie betreffende Themen und Entscheidungen zu gewähren, wurden neben Jugendparlamenten insbesondere auf kommunaler Ebene Youth Councils weltweit etabliert. Viele von ihnen sind dabei auch als Folge der „United Nations Convention on the Rights of the Child” (UNCRC, Artikel 12, 1990) zu sehen. Diesen Gruppen oder Gremien wurden und werden verschiedene Verantwortlichkeiten zugewiesen, vornehmlich Interessensartikulation und Beratung im Vorfeld, aber auch die Bewertung von durchgeführten Programmen bis hin zu begleitenden Aktionen in Politikfeldern. Die Jugendlichen, die ihrer Generation eine Stimme geben sollen, werden für diese Funktion entweder ernannt oder gewählt. Ihr Alter schwankt, oftmals ist 18 jedoch die obere Grenze.
Abgesehen von den genannten Funktionen sollen Youth Councils das zivile Engagement stärken, soziale Gerechtigkeit befördern und den Glauben an die eigene Gestaltungskraft stärken. Eine Wirkungsforschung findet allerdings erst seit der Jahrtausendwende statt und traditionell auf dem Feld von Non-for-Profit Organisationen oder daran angelehnte Gruppen. Heather L. Ramey präsentiert in einem qualitativ orientierten Übersichtsbeitrag in 2013 unter dieser Einschränkung zielbezogene Ergebnisse. Neben einer Verbesserung der Serviceleistungen für die Empfänger wurde dort beispielsweise ein erhöhtes Verantwortungsbewusstsein oder aber eine stärkere Bindung an den Gegenstand der Veränderung herausgestellt. Ebenso bereiten sie auf eine spätere Übernahme von Führungspositionen mit vor, nicht zuletzt weil Kommunikationsprozesse eingeübt werden. Interessant auch, dass solche Organisationen zukünftig Anliegen der jüngeren Generation von sich aus verstärkt berücksichtigen. Ein gewisser Formalisierungsgrad des Prozederes fördert, so ein ergänzender Befund des Teams um Mary Collins von der Boston University aus 2018, die Effektivität des Vorhabens und erschwert eine reine Fassadenpolitik.
Jüngstenrat in Unternehmen
Die formelle Etablierung eines Jüngstenrates in Unternehmen ist ein so seltenes Ereignis, dass man es als Ausdruck einer innovativen Unternehmenspolitik einstufen muss. Dass die Stimme der jüngeren Generation stärker als bisher in Fragen von Strategie, Technologie, Arbeitsbedingungen und Kundenansprache einbezogen werden müsste, ist bei nach vorne gewandten Unternehmen heute im Grunde unstrittig. Aber selbst dort hapert es immer wieder an der Umsetzung.
So wird die jüngere Genration zwar häufiger bei Themen rund um Social Media einbezogen, offensichtlich stellt dies aber nur einen Teil des betrieblichen Geschehens da. Anzuführen ist allenfalls noch das Reverse Mentoring, wo eine jüngere Person gegenüber einer älteren Führungskraft eine beratende Leadfunktion einnimmt (vorzugsweise im Kontext Technologie/Technik/ Digitalisierung) oder am Rande noch das aus der Personalentwicklung bekannte Junior Board, in dem eine (vergangene) Entscheidung höherer Führungsebenen durch Jüngere beispielhaft im Zuge der Talentförderung simuliert wird.
Die formale Einrichtung eines Jüngstenrates hat demgegenüber eine vollkommen andere Qualität. Die Initiative geht hier vom Top-Management aus, gründet auf der Anerkennung einer besonderen Bedeutung „jüngerer“ – und damit potenziell ganz anderer – Sichtweisen auf die Dinge und dient primär einer verbesserten Ausrichtung des Unternehmens auf die Zukunft. Das Ziel der Entwicklung von Führungsnachwuchskräften spielt selbstverständlich mit hinein, ist aber nicht die leitende Motivation.
Warum diese plötzliche Hinwendung? Hier wirken mehrere Faktoren zusammen. Als erstes sicherlich die Erkenntnis, dass es dem Top-Management viel schwerer als bisher fällt, begründete Entscheidungen für die Zukunft des Unternehmens zu treffen. Die Zunahme von Unsicherheit über die Entwicklung der Märkte und deren Rahmenbedingungen ist fast schon mit Händen zu greifen, wie auch die fortlaufende Beschleunigung in nahezu allen Lebensbereichen allenthalben spürbar ist. In einer solchen Situation ist es vollkommen natürlich, weitere Ansichten zum Handeln im Hier und Jetzt einzuholen. Und dass der Blick dabei unmittelbar auf die jüngere Generation fällt, ist wohl am ehesten damit zu erklären, dass deren Vertreter die Zukunft bereits in ihrer Person repräsentieren und häufig am besten mit dem verbunden sind, was die Zukunft noch stärker als die Gegenwart beeinflussen wird: die Technologie.
Daneben treten Vorstellungen von einer Lebenswelt, die die Märkte und die sie bedienenden Unternehmen radikal herausfordern werden. Die New Work-Diskussion fokussiert in diesem Zusammenhang auf sinnstiftende Tätigkeiten („Was mir wirklich wirklich wichtig ist“), einen wertschätzenden Umgang miteinander, eine Verantwortung für die eigene Zukunft und die Umwelt.
Jedes Top-Management tut gut daran, hierüber mehr zu wissen. Man kann dies sowohl instrumentell sehen, um beispielsweise die Realisierungschancen von Entscheidungen zu verbessern als auch ethisch, um die Rechte der nachrückenden Generation anzuerkennen und im Diskurs mit dieser sinnvollere Arrangements als bisher zu treffen.
Und ja, es ist natürlich richtig, dass die Jüngeren keine homogene Gruppe jenseits ihres Alters sind. Auch sind ihre Fähigkeiten und Leidenschaften unterschiedlich und keinesfalls sind deren Vertreter per se zu klügeren Einsichten oder besseren Entscheidungen befähigt. Und überhaupt, was genau ist denn jung? Und spielen bei alledem nicht auch Branchenspezifika eine große Rolle?
Stimmt alles, aber: Nicht ohne Grund stoßen wir seit der Antike immer wieder auf die Dichotomie von Jung und Alt, die seither in ungezählten Forschungen, aber z.B. auch in der Literatur, immer und immer wieder aufgegriffen und als wichtig erachtet wird. Jeder, der die 30 aus einiger Ferne sieht, befrage sich einmal selbst. Es besteht zweifelsohne ein evidenter Unterschied, wenn auch in einer nicht immer genau fassbaren Schärfe.
Fallbeispiele: Youth Council (Axel Springer SE) und Jungrat (Jung von Matt)
Es ist sicher kein Zufall, dass die von mir gefundenen Fallbeispiele aus Unternehmen stammen, die für Innovation in turbulenten Märkten stehen. Von ihnen ließ ich mir die Hintergründe und Ausformungen ihrer Konzepte näher erläutern. Einige wenige Worte vorab zu den Unternehmen selbst:
Axel Springer war Vorreiter bei der Digitalisierung der Medienbranche und besitzt immense Erfahrung in der digitalen Transformation. Vier Fünftel des operativen Umsatzes sind digital. Die Tochterfirma Hy unterstützt inzwischen andere Organisationen bei deren digitaler Reise. Jung von Matt ist die neuerdings partnerstrukturierte und wohl bekannteste Werbeagentur im deutschsprachigen Raum und wurde 2018 auf dem Cannes Lions International Festival of Creativity, dem Mekka der Werbebranche, als „Independent Agency of the Year“ ausgezeichnet. Gerade in der Werbung bzw. in der Kommunikation zwischen Unternehmen und Kunden schlägt die Digitalisierung mit voller Wucht zu und jene, die damit direkt befasst sind, entstammen überproportional der jüngeren Generation.
2018 kündigte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, die Einführung eines Youth Councils an. 6 Personen unter 30, die Redaktionen, der Holding und den verschiedenen digitalen Unternehmen im Unternehmen entstammen, sollen fortan mit dem Vorstand zu verschiedensten Themen, beispielsweise Strategie, Technologie, Unternehmenskultur bei regelmäßigen Treffen diskutieren. Dahinter steckt in den zweistündigen Meetings neben inhaltlichen Fragen auch die Überlegung, die Unternehmenskultur und Führungskultur fortzuentwickeln sowie die Kunden- und Leserperspektive einer jüngeren Generation einzubeziehen. Die Kandidaten wurden in der ersten Runde aus den jeweiligen Bereichen von den dortigen Top-Führungskräften nominiert. Eva Albrecht, aus dem Team Leadership & Executive Development und vertraut mit allen einschlägigen Prozessen den Youth Council betreffend, weist darauf hin, dass der Youth Council aktuell einen Prozess ausarbeitet, wie ein differenzierter Nominierungs- und Auswahlprozess ab Runde 2 aussehen kann. Insgesamt fügt sich diese Initiative in einen Verbund verschiedenster Aktivitäten ein, die Führung, Kultur und Talententwicklung zum Gegenstand haben.
Einen intensiven Einblick konnte ich bei Jung von Matt gewinnen. Der „Jungrat“, ebenfalls in 2018 ins Leben gerufen, besteht ebenfalls aus 6 Personen unter 30. Max Lederer, Partner, Kreativchef der Agentur und co-zuständig für den Pilot, versteht den Jungrat als eine wichtige Möglichkeit, um den schwer einzuschätzenden zukünftigen Unwägbarkeiten besser begegnen zu können. Für ihn entsteht hier eine Art „Vorrat“, den die Agentur anlegt und der sich durch den Austausch untereinander von selbst vergrößert. Bei der Installierung wurde Wert darauf gelegt, dass sich die zentralen Unternehmensbereiche im Jungrat wiederfinden. Deren Mitglieder wurden kompetitiv ausgewählt und sollen sich periodisch ablösen. Die rund dreistündigen Treffen zwischen den Partnern und den Mitgliedern sollen ca. alle 2 Monate stattfinden und einmal im Jahr beim strategisch relevanten Treffen der Geschäftsführung andocken, dort sogar noch länger. Diskussionspunkte sind vorzugsweise Strategien, Investitionen, Technologien und das Arbeitsumfeld. Kulturell wird eine weitere Belebung der Feedback- wie Konfliktkultur erwartet, aus übergeordneter Sicht zudem eine Stärkung der kollaborativen Kultur, ohne die dominante Wettbewerbskultur dabei außer Kraft zu setzen.
Aus der Perspektive eines seiner Mitglieder, Michael Wilde, ist der Jungrat eine hervorragende Gelegenheit, die Anliegen und Ansichten der jüngeren Generation stärker als bisher einzubringen, das Gesamtgeschäft besser zu verstehen und dadurch bei den Themen als Sparringspartner anzuknüpfen, die Verbesserungen in Kultur, Management oder Unternehmensentwicklung bedürfen:
„Fragen, die gerade aus unserer Perspektive beantwortet werden können, sind beispielsweise: Wie können wir uns hinsichtlich Flexibilität und Eigenverantwortung weiterentwickeln ohne an ‚Exzellenz’ einzubüßen? Können wir das, was uns motiviert und ‚Sinn‘ bei der Arbeit gibt, fördern? Was sind attraktive Arbeitsmodelle und individuelle Entwicklungsmöglichkeiten? Dabei finden wir oft Anknüpfungspunkte bei Dingen, die schon mal da gewesen sind, aber auch komplett neue Aspekte, die die Agentur in Zukunft noch besser machen können.“
Die persönliche Fortentwickelung der Mitglieder, die in dieser Breite ansonsten nicht auf dem Programm gestanden hätte, ist ein positiver Nebeneffekt. Besonders interessant ist, dass sich die Mitglieder des geschlechtergemixten Jungrats als gleichberechtigt verstehen. Sie organisieren sich über die Standorte hinweg selbst, stehen untereinander in einem digitalen Austausch, finden sich für ein- oder mehrtägige Treffen zusammen und sind zu den besprochenen Themen mit ihrer Altersgruppe in der Agentur gezielt vernetzt. Dadurch soll der Gefahr des Entstehens eines elitären Zirkels entgegengewirkt und der kulturelle Transformationsgedanke breiter und tiefer in die Agentur eingestreut werden.
Veränderung muss man wollen und angehen
Die Ansprüche der jüngeren Generation werden in der letzten Zeit auch außerhalb des Unternehmenssektors offensiver aufgegriffen – ernsthaft allerdings erst dann, wenn Formen gefunden werden, die eine Chance auf die Einbindung in Entscheidungsprozesse eröffnen. Die Etablierung eines Jüngstenrates gehört dazu. Eine andere Form wäre Zeldins viel beachtete „Youth-Adult Partnership“ (Y-AP), bei der, wenn ich es auf den Managementsektor übertrage, regelmäßig Führungskräfte mit jüngeren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in hierfür ausgewählten Bereichen (z.B. Rekrutierungskonzept, Auswertung einer Zufriedenheitsanalyse, Formen der Kundenansprache) für einen definierten Zeitraum zusammenarbeiten.
Die wissenschaftliche Wirkungsforschung zu Youth Councils ist wie erwähnt begrenzt, für den Managementsektor sowieso. Das vorliegenden Material weist für (sozial)politische Initiativen oder Organisationen immerhin ermutigende Ergebnisse aus. Für die übergreifende Partizipationsforschung in Wirtschaftsorganisationen gilt dies ebenfalls, wenn auch nicht unkonditioniert. Minimalanforderungen sind m. E. relevante thematische Zuschnitte, eine umsichtige Kommunikationspolitik, die Bereitschaft, von vornherein ein ressourciales Investment zu leisten (z.B. Zeit, Infrastruktur etc.) sowie eine geglückte Gratwanderung zwischen Formalisierung und Flexibilisierung. Sollten die etablierten Führungskräfte versuchen wollen, den Austauschprozess einseitig zu kontrollieren oder gar zu manipulieren, dazu liegen Befunde für den Community-Bereich vor, scheitert das Vorhaben.
Es bedarf keines Masterplans. Dieser liegt auch bei den von mir angeführten Unternehmen nicht vor. Warum auch? Man kann die Initiative zumindest anfänglich so interpretieren, die eigene Kultur ein Stück weit zu irritieren, um dadurch Bewegung zu provozieren. Gesetzte Themen erzeugen Aufmerksamkeit, andere Fragen entwickeln sich. Dann wird weiter geschaut. Dies wäre ein angemessenes Kulturverständnis. Am Ende, das ist klar, müssen die Beteiligten von der Sinnhaftigkeit des Dialoges und der Nützlichkeit seiner Folgen überzeugt sein. Es sei empfohlen, das Suchfeld nicht zu eng zu begrenzen, wie ich es bereits bei meinem Beitrag zu den künstlerischen Interventionen in Unternehmen angemerkt habe.
Es entspricht von daher durchaus der Erfahrung einer Trial-and-Error Kultur bei für Innovationen einschlägigen Unternehmen, wenn Max Lederer den Wert solcher Jüngstenräte wie folgt sieht:
„Der Weg dorthin, der Lernprozess dorthin ist genauso wertvoll wie die möglichen Resultate, die daraus entstehen.“