Risikoreichere Entscheidungen sind immer wieder der Wunsch eines CEOs oder der Teamleitung auf den nachfolgenden Ebenen. Wie gelingt es, gewohnte und immer seltener problemgerechte Betrachtungs- und Handlungsmuster aufzubrechen? Das Beharrungsvermögen von Individuen ist bekanntermaßen groß. Vielleicht hat auch deshalb die transformationale Führungstheorie seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts so viel Raum in der Führung eingenommen. Wie sieht die Risikoneigung aber nun in Teams aus?
Risikoreichere Entscheidungen: Sind Teams besonders risikoavers oder risikofreudig?
Während sich die transformationale Führungstheorie mit der Erzeugung von neuen Energien in Teams beschäftigt, damit quasi auf etwas Bestehendes aufsetzt und vor allem die unmittelbare Führungsbeziehung betrifft, soll an dieser Stelle das Bestehende, die Verfasstheit eines Teams mit Blick auf seine Risikoneigung, näher betrachtet werden. Ist es vielleicht leichter, im Kollektiv mutig zu sein?
In der Forschung hat sich der Begriff „Risky-Shift“ (Risikoschub) für eine Diskussion hierüber etabliert. Er bezieht sich auf das Phänomen, dass Gruppen nach einer gemeinsamen Entscheidungsfindung oft risikofreudigere Entscheidungen treffen als Einzelpersonen. Die zentrale Aussage lautet also: Gruppen sind risikofreudiger als es sich aus der Addition der individuellen Risikoneigungen durchschnittlich ergeben würde.
Dieses Phänomen wurde zuerst in den 1960er Jahren beobachtet und umfassend untersucht, insbesondere in den Studien von Stoner (1961) sowie Wallach, Kogan und Bem (1962). Ihre Arbeiten zeigten, dass Gruppenentscheidungen dazu neigen, extremer in Richtung Risikofreude oder, wenn auch seltener, in Richtung konservativer Entscheidungen (Vorsichtsschub) zu gehen als individuelle Entscheidungen. Dieser Effekt gilt oftmals als Folge des sogenannten „Responsibility Diffusion“-Effekts, bei dem Menschen in einer Gruppe weniger persönliche Verantwortung für die getroffene Entscheidung empfinden als aus der Position des Einzelentscheiders heraus – was Gruppen schlicht risikofreudiger macht. Vorab sei angemerkt, dass die Befundlage in der Verallgemeinerung uneindeutig ist und vielleicht in dieser Klarheit nur für gewisse Entscheidungstypen, z. B. Dilemmata, zu beobachten ist. Aber sie gibt es ja und es schadet nicht, mit diesem Phänomen, das jederzeit auftreten kann, als Führungskraft vertraut zu sein (Weibler 2023, 94ff.).
Welche psychologischen Mechanismen stecken hinter dem Risky-Shift
Diese riskante Wende hin zu risikoreicheren Entscheidungen in Gruppenkonstellationen wird durch mehrere psychologische Mechanismen angetrieben. Greifen wir zunächst die Teamleitung heraus. Der Teamleiter bzw. die Teamleiterin besitzt eine formal erhöhte Position. Sollte er oder sie eine riskantere Entscheidung bevorzugen, fungiert die Führungskraft, sofern sie akzeptiert ist, als eine Art Anker, der eine bestimmte Einschätzung vorgibt. In Abhängigkeit von der jeweiligen Organisations- und Teamkultur wird dies eine Setzung sein, die im Wesentlichen steht (hohe Machtdistanz) oder eine Setzung, die durchaus noch verrückbar ist (geringe Machtdistanz). So oder so resultiert hieraus ein „harter“ Einstieg in den Entscheidungsprozess. Je größer die Gruppe nun ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser ggf. extremen Setzung gefolgt wird, da Einzelpersonen dann noch mehr dazu neigen, ihre Verantwortung still und leise an die Führungskraft bzw. die anderen Gruppenmitglieder abzugeben, mit der Folge, keine bzw. kaum Bedenken zu äußern.
Zudem wissen wir, dass die Mitglieder von Teams in hierarchischer Umgebung mehrheitlich nach sozialer Anerkennung und Harmonie streben. Somit tendieren sie dazu, kontroverse Standpunkte zurückzuhalten, um nicht als sozial abweichend zu gelten. Diese Tendenz, Gruppenharmonie aufrechtzuerhalten, führt oft dann dazu, dass Einzelpersonen eher dem (vermeintlichen) Konsens der Gruppe folgen, selbst wenn dieser eine riskantere Richtung vorgibt. Schließlich bewirkt die Gruppendynamik eine „bestätigende Informationssuche“: Informationen, die die eine einmal gefasste Meinung stützen, werden höher gewichtet und bevorzugt eingebracht, wohingegen widersprüchliche Informationen tendenziell ignoriert werden.
Strategien zum Umgang mit risikoreicheren Entscheidungen
Als Teamleitung steht man bei diesem Phänomen entweder vor dem Problem, durch Beschlüsse/Entscheidungen mehr ins Risiko zu gehen, beispielsweise Ressourcen dafür aufzuwenden, neue Kunden oder gar neuartige Geschäftsfelder zu akquirieren statt den bestehenden Kundenstamm intensiver zu pflegen, oder überambitionierte Ideen nach eigener Einschätzung zu erden. Dies verlangt natürlich nach einem jeweils anderen Vorgehen. Deshalb sollten die nachfolgenden Ausführungen, die auf eine Reduzierung des Risikos abzielen, auch in entgegengesetzter Richtung, also für das Treffen von risikoreicheren Entscheidungen, gelesen werden, wenn diese seitens der Führung angestrebt werden. Bradley Kirkman (2021), Professor für Leadership an der North Carolina State University, hat – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – bewährte Vorgehensweisen zusammengefasst, die ich akzentuiert aufgreife:
- Vermeide Entscheidungen in zu großen Gruppe: Denn diese tendieren dazu, risikoreicher zu entscheiden, sofern Stimmen in diese Richtung gehen und unterliegen eher dem sogenannten Gruppendenken (Groupthink), also der Neigung, konform ohne ernsthafte Diskussion zu entscheiden. Ausreichende Interaktionen sind ceteris paribus bei einer Größenordnung von 5-7 Teammitgliedern gesichert.
- Verbinde die Risikoabwägung mit der Strategie: Studien zeigen, dass der größte Wertverlust aus „strategischen Fehlern“ resultiert. Es ist also zu prüfen, wo genau in der Ausrichtung wie in der Wertschöpfung das Risiko wie stark angesiedelt ist.
- Fokussiere das Risiko, nicht den Gewinn: Wichtig zu wissen ist, dass das Risiko vor den möglichen Gewinnen besprochen werden sollte. Mögliche Gewinne, die zunächst herausgestellt werden, lassen das Risiko weniger wichtig erscheinen. Dazu sollte man wissen, dass Verluste in Abwägung bei gleichem Plus-/Minus-Ausschlag zwar an sich höher gewichtet werden als Gewinne, doch dass dieser Effekt „im Rausch des Sieges“ nicht mehr so greift wie bei nüchterner Abwägung.
- Installiere einen Advocatus Diaboli: Es ist vorteilhaft, sich neben der bestmöglichen Kontrolle von Gruppeneffekten auf eine zu benennende Personen zu verlassen, deren Aufgabe es alleine ist, die Schattenseiten von vorgeschlagenen Lösungen vorzutragen. Ich denke, dass, sofern die Möglichkeit besteht, eine Person hierfür zu gewinnen, diese dem Team nicht angehören sollte, um diese Vorsichtsmaßnahme maximal zu stärken.
- Diskutiere auch die zweitbeste Alternative: Wenn sich eine Lösung erkennbar abzeichnet, sollte nichtsdestotrotz auch die zweitbeste Lösung weiter bedacht werden. Denn Teammitglieder können sich nun, da der größte Druck weg ist, freier fühlen, mit weiteren Ideen aufzuwarten, – und plötzlich kommt womöglich etwas noch Besseres heraus. Denn es gilt sowieso:
- Vermeide Zeitdruck: Zeitdruck erzeugt Stress und Stress verengt die Wahrnehmung.
Fazit: Risikoreichere Entscheidungen
Die Forschung zum Risky-Shift-Phänomen zeigt, dass Gruppenentscheidungen durch spezifische psychologische und soziale Dynamiken geprägt werden, die das Risiko erhöhen können. Dieses Phänomen ist insbesondere für Organisationen von Bedeutung, da es Entscheidungsprozesse beeinflusst und erhebliche Auswirkungen auf das Risiko- und Ressourcenmanagement hat. Ein Risky-Shift kann durch gezielte führungs- und gruppenbezogene wie auch organisatorische Maßnahmen vermieden werden, was die Entscheidungsqualität in Teams insgesamt zu steigern und das Risiko unerwünschter Entscheidungen zu mindern vermag. Was jeweils erwünscht ist, das Eingehen oder Vermeiden von Risiken, ist dabei situativ sicherlich verschieden.