Teilhabe und Wissensaustausch, Mitsprache und Mitbestimmung gelten gemeinhin als bedeutsame Voraussetzungen für die Gestaltung einer effizienten und innovativen Organisation. Wirklich gelebt wird eine entsprechend offene Kommunikation in der Praxis allerdings eher selten. Stattdessen dominiert in Meetings oftmals ein verbreitetes Schweigen. Will man diesen Missstand beheben und die aktive Mitwirkung aller Mitarbeitenden befördern, so muss man die Ursachen des formellen Schweigens klären, um vor diesem Hintergrund geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Gestützt auf die Erkenntnisse einer aktuellen Studie zeigt Leadership Insiders, warum in Meetings geschwiegen wird und wie das Schweigen gebrochen werden kann.
Warum Voice stets propagiert – und Silence häufig praktiziert wird
Nahezu alle modernen Führungs- und Managementkonzepte (z.B. partizipative Führung, plurale Führung, Empowerment, organisationales Lernen; siehe dazu Weibler 2023; 2021) sind geprägt von der Erkenntnis, dass die Kompetenz und das Know-how der Mitarbeitenden systematisch in Entscheidungsprozesse einbezogen werden müssen, um Effizienz und Erfolg der Organisation langfristig zu gewährleisten. Umso problematischer erscheint der immer wieder bestätigte Befund, dass in den meisten Organisationen ein Mangel an Mitsprache seitens der Mitarbeitenden besteht, dies auch und gerade in Bezug auf Entscheidungen und daraus resultierende Verfahrensweisen, die die Mitarbeitenden aus ihrer Kenntnis heraus als unklug erachten. In diesem Zusammenhang ist allerdings auch deutlich zu differenzieren: Unzufriedenheiten mit dem Arbeitskontext werden auf der informellen Ebene durchaus offen geäußert und gerne auch heftig beklagt; auf der formellen Ebene, und hier vor allem beim Zusammentreffen mit Vorgesetzen in offiziellen Meetings, bleiben solche Kritiken dagegen allzu oft unausgesprochen.
Fragt man nach den Ursachen für diese problematische Diskrepanz, so antwortet die Forschung in der Regel aus zwei – erkennbar korrespondierenden – Blickwinkeln heraus:
- Zum einen wird eine systemische Perspektive eingenommen, der zufolge vorrangig strukturelle wie kulturelle Gegebenheiten innerhalb der Organisation für das Schweigen der Mitarbeitenden verantwortlich sind. Genannt werden hier ein allgemeines „Klima des Schweigens“, welches es aus Sicht der Beschäftigten überflüssig oder gar gefährlich erscheinen lässt, offiziell Kritik oder Ideen zu äußern, ein sog. „Taube-Ohren-Syndrom“, das vor allem auf die Vergeblichkeit jeglicher Verbesserungsbestrebungen seitens der Mitarbeitenden abstellt, wie auch eine „Spirale des Schweigens“, welche besagt, dass kritische Stimmen solange marginalisiert werden, bis sie nur noch als Außenseiter-Position erscheinen und schließlich ganz verstummen.
- Zum anderen kann Silence aber auch aus der individuellen Perspektive heraus erklärt werden, wobei hier insbesondere zwei Treiber als bedeutsam erachtet werden: Angst vor negativen Konsequenzen kritischer Einlassungen in formalen Meetings, sowie die Annahme der Vergeblichkeit, der gemäß jegliches Vorbringen von Kritik und Ideen „von unten“ grundsätzlich sinnlos sei, da keinerlei Aussicht auf Umsetzung entsprechender Veränderungen bestehe.
Schweigen in Meetings – Ergebnisse einer Studie
Vor dem Hintergrund dieses Erkenntnisstandes haben Betina Szkudlarek von der University of Sydney und Mats Alevesson von der Lund University jüngst (2023) die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorgestellt, welches durchaus Potenzial besitzt, das bestehende Problemverständnis zu weiten. Die Ergebnisse beruhen auf qualitativen Tiefeninterviews mit 18 Wissenschaftlern der BSUX-Business School, welche dort (a) mindestens drei Jahren tätig waren – und die organisationalen Interna von daher gut kannten, sowie (b) allesamt eine Festanstellung besaßen – womit deren Beschäftigungssicherheit als sehr hoch eingestuft werden konnte. Ausgangspunkt der Untersuchung war die übereinstimmende Einschätzung der Interviewten, dass eine Vielzahl organisationaler Defizite und Missstände auszumachen sei, die einer kritisch-konstruktiven Besprechung bedürften. Gleichzeitig wurde konstatiert, dass sich tatsächlich aber immer nur wenige Mitglieder der Fakultät bereitfänden, sich in Meetings offen dazu zu äußern. Exemplarisch liest sich hier das folgende Statement einer Interviewten (im Folgenden übersetzt):
„Theoretisch ist der Raum als runder Tisch eingerichtet, um die Diskussion anzuregen. In der Praxis hat man das Gefühl, dass jeder Einzelne stärker exponiert ist. Wenn Sie etwas sagen, sind alle Augen auf Sie gerichtet. (…) So sehen die meisten Sitzungen aus. Auf den Fluren sind die Leute sehr lautstark, aber in Sitzungen, in denen die Themen tatsächlich angesprochen werden können, sind sie irgendwie stumm.“
Im Zuge der Hinterfragung der systemischen Ursachen dieser Problematik zeigte sich, dass einerseits – hierarchisch-strukturell besehen – die Leitung der Business School kaum zu partizipativen Entscheidungsprozessen geneigt war – eine Haltung, die ein Interviewter wie folgt charakterisierte:
„Wir sind das Top-Management-Team. Wir werden euch sagen, was ihr tun sollt. Und ihr müsst herausfinden, was ihr hier unten tun müsst.“
Andererseits – kulturell besehen – zeigte sich aber auch, dass Kohäsion und Teamgeist auf der Ebene der angestellten Lehrkräfte kaum ausgeprägt war, was eben dazu führte, dass Unzufriedenheiten in informellen Gesprächen zwar weithin geteilt wurden, dass man gleichwohl nicht sicher sein konnte, Rückendeckung zu bekommen, wenn man solche Unzufriedenheiten in Meetings offen ansprach – was in folgendem Statement zum Ausdruck kommt:
„Ich bin manchmal überrascht, wie schwierig es ist, Menschen dazu zu bringen, öffentlich das zu sagen, was sie mir im Stillen sagen.“
Mit Blick auf die individuellen Ursachen des diagnostizierten Schweigens in Meetings, also insbesondere die Angst vor negativen Konsequenzen offen geäußerter Kritik sowie die Annahme der völligen Vergeblichkeit jeglicher bottom-up betriebener Verbesserungsbestrebungen, zeigte sich ein ambivalentes Bild. So äußerte ein Teil der Interviewten, dass sie genau aus diesen Gründen lieber schwiegen – was dann etwa wie folgt klang:
„(…) sei einfach still, sag hier einfach nichts. Sei einfach still. Mach dich nicht zur Zielscheibe.“
Ein anderer Teil der Interviewten teilte diese Ansicht allerdings nicht, berichtete vielmehr davon, dass eine offene Ansprache von Problemen in Meetings eher positive Wirkungen zeitigte, was ein Interviewpartner wie folgt formulierte:
„(Sich zu Wort melden) wird als etwas Positives angesehen. Es ist vielleicht nicht sofort lohnend. (…) Aber auf lange Sicht, bei einer Reihe von Dingen, war (das Auftreten) für mich tatsächlich von Vorteil.“
Diese Widersprüchlichkeit deuten Betina Szkudlarel und Mats Alvesson dahingehend, dass es sich bei der individuellen Begründung eigenen Schweigens in Meeting-Situationen ein Stück weit immer auch um Konstruktionen der Realität (siehe dazu grundlegend: Watzlawick 2006) handelt – sprich: dass der eine „speaking up“ als höchst riskant erachtet, während ein anderer eben hierin eine Möglichkeit für Belohnung und Statusgewinn sieht.
Die Interviews zeigten überdies allerdings auch, dass es jenseits der üblichen Begründungen „Angst“ und „Vergeblichkeit“ durchaus noch weitere wichtige individuelle Motive für ein Schweigen in Meetings gibt. Ausdrücklich benannt werden dabei die Folgenden:
- Opportunismus, d.h. Mitarbeitende sind weniger darauf fokussiert, Verbesserungen für alle zu bewirken, sondern eher darauf, Vorteile für sich selbst zu realisieren.
- Bequemlichkeit, d.h. Schweigen bedeutet für den Einzelnen schlicht weniger Energieaufwand als Sprechen – und wenn alle so denken, verkürzen sich die Meetings und man spart Zeit.
- Ungeeignetheit, d.h. wer schweigt, der offenbart keine Kompetenzdefizite, derweil öffentliches Sprechen zur Gefährdung der von anderen zugeschrieben Fachkompetenz werden kann.
- Distanziertheit, d.h. Schweigen resultiert nicht zuletzt auch aus einer Entfremdung des Einzelnen von (v.a. großen, anonymen, atomisierten) Organisationen, was durch eine fortschreitende Erosion von kollektiver Verantwortung wie auch berufsethischen Idealen noch verstärkt wird.
Wie das Schweigen gebrochen und aktive Mitsprache gefördert werden kann
Silence in Meetings gründet, wie diese Fallstudie ausweist, somit vor allem auf einer gelingenden, wenn auch potenziell konstruierten Legitimierung dieser Verhaltensorientierung durch den Schweigenden selbst. Voice-bezogene Stichworte hier lauten: Zu gefährlich, völlig sinnlos, viel zu aufwendig, es bringt mir nichts, anderswo vielleicht – aber nicht hier, in dieser Organisation. Schweigen verweist zudem aber auch auf eine gewisse Sozialisation, die zunächst durch kulturelle und strukturelle Spezifika der Organisation geprägt wird. Motto hier: Man lernt sehr schnell, in Meetings besser zu schweigen als offen zu sprechen. Dazu kommt, dass die Tendenz zum Schweigen durch bestimmte wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen eher noch verstärkt wird, etwa durch die zunehmende Atomisierung und Anonymisierung des Einzelnen in immer komplexer werdenden Systemen wie auch durch eine zunehmende Individualisierung und Ökonomisierung der Lebenswelt, wodurch Bemühungen des Einzelnen, „die Dinge“ für die Gemeinschaft zum besseren zu wenden, unterminiert werden und Schweigen zu guter Letzt als zeit- und ressourcenschonendes Verhaltenskonzept subjektiv rationalisiert und damit für sich selbst akzeptiert wird.
Was kann dem nun aber pragmatisch entgegengesetzt werden? Die Vorschläge, die das Forschungsduo hier entwickeln, lassen sich wie folgt benennen.
- Zunächst gilt es, die gängigen Meeting-Rituale zu überdenken, was im Wesentlichen bedeutet: Meetings sind keine Informationsveranstaltungen der Führenden und auch keine Foren für hierarchiedeterminierte Monologe, sondern vielmehr Orte, wo die „Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen“ (Habermas 1988) bewusst aktiviert und authentisch abgebildet werden sollte.
- Um dies zu befördern, sollte nicht zuletzt auch ein regelmäßiger, konkret: mindestens jährlicher Meta-Talk über den Problembereich „Voice“ versus „Silence“ vorgesehen werden, wo den Fragen nachgegangen werden kann, ob bzw. inwieweit der Anteil der (top-down) Informationsvermittlung in Meetings zu reduzieren ist, und wie ein partizipatives (bottom-up) Agenda-Setting vorangebracht werden kann.
- Parallel hierzu bedarf es auf der individuellen Ebene einer Stärkung der Bereitschaft der Führenden, diskursive, argumentative und innovative Momente in regelmäßigen Meetings nicht nur zuzulassen, sondern bewusst zu befördern. Und auf der Ebene der – vorzugsweise schweigenden – Mitarbeitenden bedarf es womöglich auch einer stärkeren Selbstreflexion dahingehend, ob das eigene anhaltende Schweigen wirklich gut begründet bzw. mit einem professionellen Berufsethos vereinbar ist.
Dies sind Schlussfolgerungen, die wir auch für andere Organisationstypen, vor allem Unternehmen, sehen. Nicht zu vergessen ist dabei immer, so unsere Erfahrung wie Mahnung, dass Schweigen anstelle von Reden, möglicherweise sogar Widerspruch zu artikulieren, ja nur eine Form ist, sich zu verhalten, Gerade die, die ambitioniert sind, könnten am Ende zu dem Schluss kommen, diese Art der Meeting-Kommunikation von anderen mittelfristig nicht zu goutieren. Für diesen Fall hatte der Volkswirt und Sozialwissenschaftler Albert O. Hirschman bereits vor rund einem halben Jahrhundert die bis heute gültige Alternative formuliert: EXIT.