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Der Philosoph Peter Sloterdijk spricht in der Schlagzeile einer Online-Redaktion vom Sinngefühl als der stärksten aller Drogen. Es wäre schon seltsam, wenn das Verlangen danach auf der Arbeit automatisch suspendiert würde. Oftmals ist Sinngebung überhaupt erst der Antrieb, einer Arbeit, beispielsweise als Gründerin, nachzugehen. Sicher, nicht jeder kann sich eine Arbeit danach aussuchen und andere machen ihren Job, weil es keine Alternative für sie gibt, Sinn hin oder her. Und noch andere mögen für sich Sinnbereiche definiert haben, die sich alle außerhalb der Arbeit befinden. Und doch zeigt eine Fülle von empirischen Untersuchungen, dass empfundener Sinn in der Arbeit oder eine sinnorientierte Führung bzw. sinnorientierte Führungsbeziehung positive organisationale Auswirkungen besitzt, das individuelle Wohlbefinden inbegriffen. Leadership Insiders vertieft heute diese Gedanken.

Die Sinnfrage auf der Arbeit

Auch wenn Organisationen ohne primäre Gewinnerzielungsabsicht (Non-Profits) als erstes mit Sinnüberlegungen verbunden werden, sind gewinnorientierte, erwerbswirtschaftliche Organisationen (Unternehmen) dennoch ausdrücklich als Produzenten von Sinngefühlen einzubeziehen. Damit wird einer schnöden betriebswirtschaftlichen Betrachtung der Organisation ein anthropozentrisches Bild entgegengesetzt, das sie mehr sein lässt als eine unerbittliche Maximierungsanstalt monetären Gewinndenkens. Wichtig ist hier nicht zuletzt, dass Menschen, die Sinn in dem sehen, was sie machen, aktuellen wie zukunftsgerichteten Herausforderungen entschiedener begegnen können.

So sehr die Sinnfrage als Dreh- und Angelpunkt in der gegenwärtigen Arbeitswelt, vorzugsweise in New Work-Ansätzen, erachtet werden kann, lässt dies jedoch erst einmal offen, was genau Arbeit eigentlich sinnvoll macht oder als sinnlos erscheinen lässt. Dass der Sinn von Arbeit ganz generell und der Sinn in oder bei der Arbeit im dann konkreten Fall unterschiedliche Betrachtungsweisen sind, mag noch unmittelbar einleuchten. Doch selbst mit dem Begriff „sinnvoller Arbeit“ können sich unterschiedliche Bedeutungen verbinden – je nachdem, ob man entweder auf den Nutzen von Arbeit bzw. auf ihren Gebrauchswert für Andere (Gesellschaft, Bezugsgruppen), auf ihre Qualität oder Güte für einen Arbeitenden (beispielsweise i. S. einer psychischen Förderlichkeit) oder auf  die subjektiv zugeschriebene Bedeutsamkeit (Wichtigkeit, Relevanz oder Stellenwert für das Selbst) fokussiert. Es liegen hier also alles andere als einfache Zusammenhänge vor. Ein dermaßen differenziertes Verständnis hat natürlich Folgen für pragmatische Erwägungen, da die Verwobenheit von subjektiven Bewertungsprozessen auf Basis individueller Erfahrungshintergründe keine immer gleichen Antworten für die proaktive Förderung von Arbeitssinn zulässt.

Sinngehalte einer Tätigkeit oder eines Umfeldes lassen sich nicht sicher objektiv bestimmen, wie plausibel dies auch sein mag (z. B. Spenden sammeln), sondern bedürfen stets einer vom Subjekt (willentlich) hineingelegten, einschlägigen Zuweisung. Sinn bedarf der subjektiven Legitimation als eben solchem. Im Spendenbeispiel können eigene negative Erfahrungen mit der Verteilung von Spenden verhindern, dass das Individuum die ihm zugewiesene Aufgabe als sinnvoll erlebt. Das Umgekehrte gilt auch: Beispielweise kann die Verrichtung einer – von außen betrachtet – scheinbar einfachsten Tätigkeit für die jeweils ausführende Person in einen viel größeren Zusammenhang gestellt und mit beträchtlicher Bedeutung und hohem Wert versehen werden. Anschaulich ausgedrückt kann also die schlichte Reinigung eines Fußbodens um einiges weitergedacht als hilfreicher Beitrag für die Produktion von elektronischen Chips aufgefasst und jene wiederum mehr als die unmittelbare Aktivität mit dem eigenen Selbst („Meine Aktivität ist wirksam für das Funktionieren von Gerätschaften“) verknüpft werden. Dies verweist darauf, dass kein leichtfertiger Umgang mit der Sinnkomponente im Organisationskontext gepflegt werden sollte und Sinngehalte keinesfalls als (ein weiteres) Managementtool aufzufassen sind.

Sinnorientierte Führung

Bei einer vom Sinngedanken gespeisten oder angetriebenen sogenannten sinnorientierten Führung geht es zuvorderst um eine mentale Prägung (mithin echte innere Überzeugung!), die sich gegenläufig zur typischen zielbasierten Denkweise von gerade im Unternehmenskontext verbreiteten Führungsansätzen verhält.  Bloße Plädoyers oder reine Lippenbekenntnisse reichen also nicht aus, sondern eine glaubwürdige, trennscharfe Haltung muss sich mit einem korrespondierendem Tathandeln verbinden, was nichts anderes heißt, dass Werten aktiv zu einer Geltung verholfen werden muss.

Das Sinnvolle liegt dabei zwar sicher nicht in einem totalitären, aber doch zumindest begrenzten Einflussbereich von Führung und Führungskräften, wobei die Art der Vermittlung entscheidend ist: Wertrealisierungen und Sinnempfindungen anderer (eben der Geführten) sind zu unterstützen oder ihre Realisierung ist zu ermöglichen. Mögliche Rollen der Führungskraft wären vornehmlich die als responsiver Transmitter (Vermittler zwischen Subjekt und Organisation) oder die als Verstärker des beim Geführten sinnbezogen Vermuteten, ggf. als Ausfluss einer Interpretation von etwas beiläufig Aufgeschnapptem. Bei alldem ist die Verletzung der Belange der Organisation als Grenze sinnbezogener Führung zu verstehen (wozu auch ein im Team geteilter Sinn gehören könnte, um eine individualistische Position nicht überzubetonen). Legitim ist die Rolle des Impulsgebers, die in den Managementdiskursen prioritär herausgestellt wird („Story Telling“ als bevorzugtes Mittel). Hier geht es um potentiell anregende Hinweise zur Sinnhaftigkeit der gegenwärtigen Aufgabe, die Bedeutung des Teams oder eine Erläuterung des „Wofür“ einer geplanten Veränderung. Dies alles in einem Führungsmodus des Aufzeigens und nicht des Überstülpens. Somit kommt es im Besonderen darauf an, dass ein überzogenes Framing von Wirklichkeit bzw. „richtiger“ Wirklichkeitssicht, wie es als Einflussweg in der Führungsliteratur zum sog. „leadership sensemaking“ bzw. „leadership sensegiving“ immer wieder vorzufinden ist, zugunsten einer geführtenseitig erwünschten Sinnkonstruktion vermieden wird. Nur so kann den Umständen bzw. der Ergebnisoffenheit von Entwicklungen Rechnung getragen werden. Eine einseitige Definition der organisationalen Realität im Stile eines vom Führenden getragenen „everyday sensemaking“ liefe hier Gefahr einer wahrgenommenen „Verzweckung“ derart, dass dies geführtenseitig nicht als Ausdruck ehrlicher Unterstützung, sondern wieder nur als Strategie zur weiteren Gewinnmaximierung angesehen wird. Wir müssen einfach sehen, dass eine lebendige Beziehung, so man eine solche als Führungskraft anstrebt, sich einer einseitigen Definitionsmacht entzieht. Von dieser Warte aus betrachtet fällt das sinnorientierte Führen unweigerlich unter die non-direktiven Führungsverständnisse. Dass Sinn problemlos auch ohne Zutun von Führung geführtenseitig gefunden werden kann, ist gleichermaßen klar und wünschenswert dann, wenn der individuell gefundene Sinn die Zusammenarbeit erleichtert oder mindestens nicht beeinträchtig.

Damit sind wir bruchlos beim naheliegendsten Einflussbereich einer sinnorientierten Führung angekommen, der Qualität einer Führungsbeziehung. Warum ist das so? Menschen sind soziale Wesen und soziale Wesen achten darauf, wie sich Beziehungen und Gemeinschaften ausnehmen und entwickeln und welche Rolle sie dabei spielen. In diesen Beziehungen und Gemeinschaften werden Deutungen über die Welt, die Organisation und über Machtverhältnisse produziert. Dieses Produzieren, sofern wertschätzend ablaufend, ist bereits ein potentiell sinnstiftender Akt, weil es dem kommunikativen Bedürfnis des Menschen und dem Versuch, seine Umwelt und die eigene Stellung hierin verstehbar zu machen, zur Befriedigung verhilft. Aber auch das Ergebnis dieses Produzierens kann es sein, wenn beispielsweise eine Festigung der eigenen Person und damit der eigenen Wertigkeit im sozialen Netz ausgemacht werden kann. Auch deshalb wird in unterschiedlichen psychologischen Ansätzen eine Verbindung zwischen der Frage des „Belonging“ und jener der empfundenen Sinnhaftigkeit gesehen. Sinn ist tatsächlich nie nur eine kognitive Kategorie, sondern stets auch eine emotionale, vielleicht am Ende auch eine ästhetische in der Bedeutung, dass gespürter Sinn über verschiedene (biologische) Sinne vermittelt und ganzheitlich empfunden wird.

Abschließend sei darauf verwiesen, dass dieses „Belonging“ auch in den Grundfragen der Philosophie auftaucht, die die eigene Existenz mit einem sinnhaften Leben verbinden. Sogleich wird klar, dass die eigene Existenz nicht ohne die Verwobenheit mit der Existenz Anderer gedacht werden kann. Dies hatte Johann Friedrich Herbart (1776-1841), Philosoph, Psychologe und Mitbegründer der wissenschaftlichen Pädagogik, in aller Klarheit bereits 1825 gesehen. „Den völlig Einzelnen“, erklärte er im zweiten Band seiner „Psychologie als Wissenschaft“, „kennen wir gar nicht; wir wissen nur soviel mit Bestimmtheit, dass die Humanität ihm fehlen würde“ (2). Ein aus und durch eine Beziehung erfahrener Sinn ist damit die Primärerfahrung des Menschen als soziales Wesen. Jede Führungsbeziehung kann dazu ihren Beitrag leisten, anregend, unterstützend oder auf diesen Lebens- und Arbeitsausschnitt bezogen, erfüllend. Wir wissen natürlich alle, dass das theoretisch Mögliche mit dem Führungsalltag nicht deckungsgleich ist. Rechtfertigung für Resignation ist dieses Faktum indes nicht.

Weibler, J. (2023) Personalführung, 4. Auflage, München (dort finden sich zahlreiche Literaturangaben)