Was muss erfüllt sein, damit beim arbeitenden Menschen ein Zustand erreicht ist, der ihn in die Lage versetzt, Belastungen abwehren, sich gesund, zufrieden und produktiv in der Organisation zu bewegen und ein gutes Gefühl für sein Leben zu haben? Eine Zauberformel dafür gibt es nicht, aber durchaus in sich kohärente „Angriffspunkte“, um sich dem zu nähern. Eine nachhaltige Personalführung gehört dazu.

Sonnendurchfluteter Wald

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Die Zeiten sind in den Unternehmen gerade nicht leicht für die Beschäftigten. Jobunsicherheit, Arbeitsverdichtung, neue Anforderungen an das Wissen und eine erschwerte Absatzlage trüben vielfach die Stimmung ein. Was neben strategischen und strukturellen Veränderungen benötigt wird, ist, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder auf einen Weg zu bringen oder sie im Richtigen zu stärken, um ihnen Kraft zu geben, mit all den Wirren möglichst verletzungsfrei umzugehen, besser noch, eine ermutigende Sicht die Dinge zu befördern („Nachhaltige Personalführung“). Aber wo soll man ansetzen?

Die Kapitaltriade

Thematisch sind wird dann schnell bei einer nachhaltigen Personalführung, die die langfristige Stärkung des Mitarbeitenden zum Ziel ist. Aber auch eine nachhaltige Personalführung muss wissen, wo sie inhaltlich anzusetzen hat. Natürlich gibt es viele „Angriffspunkte“, um Verbesserungen zu erzielen. Auszuwählen sind aber vorzugsweise die, die möglichst holistisch an die Situation herangehen. Und es sind die, die sich dabei auf möglichst bewährte wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, um Beliebigkeit und Willkür zu vermeiden und stattdessen stets limitierte Ressourcen optimal für die Zielerreichung einsetzen.

Fred Luthans, University of Nebraska, USA, gehört mit seinem Forschungsteam zur letzten Gruppe. Sein Vorschlag zielt darauf ab, den arbeitenden Menschen zu stärken, indem dieser ein ausbalanciertes Humankapital aufbaut, was er für organisationale Zwecke und ein gutes Leben einsetzen kann. Um die Schwierigkeit mit diesem Begriff des „Humankapitals“ im deutschen Sprachraum zu vermeiden, wähle ich hier stattdessen für die resultierende Größe den des „Humanvermögens“. Die einzelnen Kapitale bleiben aber mit Referenz auf den französischen Soziologen Bourdieu sprachlich unverändert.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Kapital auf vorherigen Investitionen und einer Ressourcenanhäufung im Zeitverlauf beruht. Kapital selbst ist wiederum eine Ressource, die beim arbeitenden Menschen beruflich und außerberuflich genutzt werden kann. Luthans geht davon aus, dass die Triple-Botton-Line der Nachhaltigkeit, people, planet, profit, mit dem Humanvermögen positiv korreliert.

Als erstes der drei Kapitale können wir das psychologische Kapital sehen. Das psychologische Kapital wird üblicherweise in vier Komponenten unterteilt: (a) das Zutrauen, durch Anstrengung, Herausforderungen erfolgreich zu meistern (Selbstwirksamkeitsüberzeugung), (b) grundsätzlich positiv über eine erfolgreiche Bewältigung der Gegenwart und Zukunft zu denken (Hoffnung), (c) an Zielen festzuhalten, und wenn notwendig, die Zuversicht zu besitzen, neue Wege zur Zielerreichung zu finden (Optimismus) und (d) sich gegenüber Problemen und anderen Widrigkeiten des Lebens zu behaupten sowie Widerständen standzuhalten (Widerstandsfähigkeit). Das Psychologische Kapital kann nachgewiesenermaßen mit einer Fülle von positiven Folgen wie höherer Effektivität und Zufriedenheit, weniger Stress oder mehr Engagement in Verbindung gebracht werden. Selbst sind die hier eingehenden Komponenten nicht als Eigenschaften zu sehen, sondern eher als entwickelbarer, aber temporär dennoch stabiler Zustand. Diese Entwicklung läuft über Interventionen, die sich an Zielen orientieren, die mit den impliziten Motiven, die in einem liegen, harmonieren.

Das zweite Kapital ist das physische Kapitel. Hier geht es um die mentale wie physische Gesundheit. Die zu berücksichtigten vier Komponenten sind (a) die Achtsamkeit, (b) die Bewegung, (c) die Ernährung (d) die Atmung. Auch wenn offensichtliche Überschneidungen vorliegen, sind die Einzelwirkungen bedeutsam genug, um die Komponenten separat aufzuführen. Diese positiven Einzelwirkungen gehen ebenfalls wieder in Richtung Performance und Well-Being, um es verkürzt zu sagen.

Kommen wir zum dritten Kapital, dem sozialen Kapital. Im Prinzip geht es um die gelingende Verbindung zwischen Menschen (Partner, Kunden, Klienten, Kollegen etc.) und dabei um meine Möglichkeiten, diese Verbindungen eigenständig zu knüpfen und zu nutzen. Diesmal werden fünf Komponenten herangezogen, um ein „Wirgefühl“ zu bekommen. Zunächst ist es (a) die religiöse-spirituelle Komponente, die aufgrund zahlreicher empirischer Befunde anzuführen ist. Dann geht es um (b) qualitativ hochwertige Beziehungen, die beispielsweise Zugehörigkeit symbolisieren und deren Nutzen breit in der auch hier bereits besprochenen Harvard-Studie zum langen, guten Leben zum Ausdruck kam. Des Weiteren – und nun wechseln wir die Ebene – ist (c) die Organisationskultur zu nennen. Berücksichtigt diese den ganzen Menschen, sieht ihn als Persönlichkeit, oder sieht sie ihn lediglich als in Mittel, um anderen Profite zu bescheren, deren höchster Beitrag, wie ich es aus dieser Warte formulieren würde, es wäre, sich bei Aufrechterhaltung des eigenen, bisherigen Leistungsbeitrages zukünftig selbst überflüssig zu machen (klassisch: durch eine Erfindung; praktisch: Einspeisung des (spezifischen) Wissens in eine intelligente Maschine). (d) Die vierte Komponente ist die Empathie. Drei Formen werden unterschieden, wobei nur die zweite und dritte im Eigentlichen das soziale Kapital steigern, weil es dabei um sehr praktische Dinge geht. Das reine intellektuelle Verstehen von Menschen durch eine kognitive Empathie ist bereits gut, aber erst die emotionale Empathie lässt einen die Situation des anderen authentisch begreifen und eröffnet damit eine neue Erkenntnisperspektive. Die verwandte mitfühlende Empathie setzt Vorheriges voraus, meint aber insbesondere die Bereitschaft, Hilfe und Unterstützung für Menschen, die sich in einer schwierigen Situation befinden, zu leisten. Die letzte Komponente zielt auf Beziehungen in Gemeinschaften ab, die im Arbeitsleben vor allem durch das Arbeiten in und mit Teams entwickelt werden. „Kohäsion“ ist hier das Stichwort mit Auswirkungen auf Stimmungen, Entscheidungen und Kommunikationsformen. Einem rein aufgabenbezogenen Team gelingt das allerdings nicht. Über den Arbeitsplatz hinausgedacht, werden hier auch Gemeinschaften (vom Stadtrat bis zum Verein oder einer Gruppe, die sich regelmäßig trifft) angesprochen, die Erfahrungen des Respekts, der Freude usw. ermöglichen.

Nachhaltige Personalführung kann Einfluss auf die Kapitaltriade nehmen

Diese besprochene  Kapitaltriade verstärkt sich gegenseitig, ohne dass sich ihre Dimensionen prinzipiell substituieren können. Fallweise und je nach individuellen Präferenzen mag dies für einzelne Komponenten aber durchaus gelingen. Es sind ja auch die ersten Schritte in die richtige Richtung, die bereits hilfreich sind. Dennoch kann nur dann ein nach diesem Ansatz maximaler Effekt erwartet werden,  wenn ein ausbalanciertes Humanvermögen (Humankapital im Original), dass ein gutes Leben verspricht, am Ende erreicht ist. Dabei sind diese drei Kapitelformen nicht exklusiv final, sondern können ergänzt werden, sofern sich keine Widersprüche auftun und diese Ergänzungen fundiert sind. Daran arbeiten und mithelfen können und müssen viele: man selbst, die Organisation, das Umfeld. Und nicht zuletzt sollte man die Führungskraft hervorheben, die durch eine nachhaltige Personalführung auch alle drei Kapitalformen Einfluss nehmen kann. Über die Frage, wie das geschehen kann, schreibe ich ja hier immer wieder. Beispielsweise ist das Führungsgespräch selbst ein Medium für eine solche, mögliche Einflussnahme, sofern es richtig angegangen wird

Sicherlich muss hier mitgedacht werden, dass eine nachhaltige Personalführung keine finanzielle Schieflage in der Bezahlung kompensieren kann und sollte. Auch ist sie keine Rechtfertigung dafür, erhebliche strukturelle Missstände oder Konflikte zu überspielen, denn erstens könnten sich die beschriebenen Komponenten so erst gar nicht in positiver Ausprägung entwickeln und zweitens  geht jedem einmal die Luft bei unzureichender Erholung/Regenerierung aus. Abgesehen davon sind solche Konzeptionen nicht dazu gedacht, einseitige Anpassungsleistungen zu erbringen. Empirische Studien wie viele Beispiele aus der Literatur (über Extremsituationen) zeigen übrigens, dass schwierigste, langanhaltende Situation dann noch am ehesten von Personen ertragen werden können, die ihren Halt im Religiösen/Spirituellen gefunden haben. Sinn ist etwas allgemeiner gedacht dafür ein passendes Stichwort. „Ertragen“ ist aber im beruflichen Kontext nicht das anzustrebende Ziel, sondern Veränderung.

Bourdieu, P. (2021): Forms of Capital: General Sociology, Volume 3: Lectures at the Collège de France 1983–84. Polity Press.

Luthans, L., Luthans, K., Luthans, B., Peterson, S. (2024): Psychological, physical, and social capitals: A balanced approach for more effective human capital in today’s organizations and life. In: Organizational Dynamics; ORGDYN, https://doi.org/10.1016/j.orgdyn.2024.101080