Unfreiwillige Fluktuation ist teuer. Nicht selten ist mehr als ein Jahresgehalt anzusetzen, bis der vorherige Leistungsstandard durch die Neubesetzung wieder erreicht werden kann. Wir weisen Frühindikatoren aus, die eine Fluktuationsabsicht erkennen lassen, benennen Gründe und Einflussfaktoren und gehen darauf ein, wie eine unfreiwillige Fluktuation zu minimieren ist.

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„Wir müssen reden“ oder salopper, „Ich bin dann mal demnächst weg“,  sind Horrorsätze für jede Teamleitung, sofern sie von einem Teammitglied ausgesprochen werden, auf das man bislang setzen konnte. Selten, dass die Sätze von denen kommen, die verzichtbar erscheinen, wie die Erfahrung lehrt. Wissensverlust … Stellenanzeigen … Jobinterviews … Einarbeitung … leicht anderes Profil der Nachfolger … Neujustierung von Projekten … Home-Office, all das geht blitzartig durch den Kopf. Und der Organisation kostet es oft mehr als ein Jahresgehalt, bis der oder die Neue auf altem Niveau mitlaufen kann, rechnet man alles ein, auch die Arbeitszeit, die andere opfern werden, um das neue Teammitglied auf Kurs zu bringen. Leadership Insiders erläutert die Gründe für eine unfreiwillige Fluktuation und beschäftigt sich mit Gegenstrategien.

Fluktuation  – Was ist das?

Fluktuation, genauer Mitarbeiterfluktuation, Personalfluktuation (employee turnover, staff turnover), bezeichnet im engeren Sinne das Ausscheiden einer Person aus ihrem Arbeitsverhältnis. Dieses Ausscheiden kann aus Organisations- wie Mitarbeitersicht gewollt oder ungewollt sein, oder wird unvermeidbaren Gründen wie Wegfall des Beschäftigungsgrundes aus betrieblichen wie persönlichen Veränderungen, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, Verrentung oder Tod zugerechnet.

Dies zeigt, dass der Begriff der Fluktuation sich auf das Bleibe- bzw. Wechselverhalten der Beschäftigten bezieht und typischerweise als eine Verhältniszahl angegeben wird (Mitarbeitiges Ausscheiden zu einer Periode im Verhältnis zur durchschnittlichen Anzahl der Beschäftigten zu einer Periode insgesamt – das alles berechenbar für die Gesamtorganisation, eine spezifische Abteilung, ein einzelnes Team oder auch einen bestimmten Vorgesetzten). Daimler (2019) beispielsweise weist in seinem Kennzahlenbericht für 2018 eine Fluktuation von weltweit 6% aus (3,5% in Deutschland), die Telekom konzernweit 5,12% (ohne USA in 2018) und die BASF (2018) 1,3% weltweit (Bezugspunkt: Verlassen auf eigenen Wunsch). Die Spannbreiten sind dabei vor allem branchenbezogen sehr erheblich (Spitzenreiter sind in der Regel Call-Center, in denen, sofern als Outbound-Center konzipiert, weniger als 20% der Beschäftigten drei Jahre und mehr im Unternehmen verbringen – und zugleich Spitzenplätze bei Fehlzeiten belegen).

Anders rechnet, kommen Ihnen die Zahlen einmal unter, im Übrigen die Bundesanstalt für Arbeit (2021), die die hälftigen Summen von begonnenen und beendeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen einer Periode bezogen auf den Beschäftigtenbestand (hälftiger Jahresanfangs- und Jahresendbestand) zugrunde legt und deutschlandweit seit Jahren hiermit einen Wert von rund 30% ausweist.

Die ungewollte Fluktuation

Uns interessiert an dieser Stelle lediglich die aus Organisationssicht ungewollte Fluktuation. Hier kündigt der Beschäftigte. Da diese Kündigung gemeinhin nicht aus dem Nichts kommt, interessieren wir uns aus Präventionssicht sehr wohl für die Umstände (Einflussfaktoren und folgende Prozesse), die das Kind in den Brunnen fallen lässt. Wir setzen also, Stichwort Fluktuationsmanagement, schon vor der Entstehung einer Fluktuationsabsicht an. Ziel ist es, diese Entwicklung besser zu verstehen, um sie – falls möglich – frühzeitig beeinflussen zu können. Die zentrale Frage lautet demnach: Wie kommt es eigentlich zu ungewollter Fluktuation?

Einen sehr instruktiven Überblick hierauf gewähren der Wirtschaftspsychologe Alexander Häfner und Christina Truschel, Projektleiterin im Bereich Personalentwicklung bei der Würth Industrie Service  (2022, S. 11), die die in der Literatur genannten Ursachen in ein übersichtliches Modell gebracht haben.

Abb. 1: Rahmenmodell der Fluktuation

Das Rahmenmodell der Fluktuation unterscheidet zwischen Einflusskategorien, Mediatoren und Konsequenzen, die prozesshaft miteinander verbunden sind. Die sieben Einflussfaktoren fußen auf Studien, in denen sie mit den Fluktuationsabsichten oder der tatsächlich Fluktuation mit einem Mindestwert (>.10) korreliert haben. Es wird angenommen, dass diese Einflussfaktoren emotionale Reaktionen wie Freude, Stolz, Ärger, Trauer oder Wut bewirken, die wiederum auf die drei herausgehobenen (es gibt noch weitere) Mediatoren Arbeitszufriedenheit, Commitment und Eingebundenheit auf das Team oder die Organisation einwirken. Diese dort bewirkten Zustände sind dann dafür verantwortlich, dass als Konsequenz eine Fluktuationsabsicht besteht, die irgendwann zu einer tatsächlichen Fluktuation führt. Je lebendiger die Fluktuationsabsicht mit Verweis auf den Grund oder die Gründe einer Person ist, desto enger ist der Zusammenhang zum Verhalten. Wir sehen aber auch, dass die sieben Einflusskategorien auch direkt auf den Fluktuationsbereich wirken können. Ein Beispiel hierfür wäre, dass der oder die Führende einen Mitarbeiter dermaßen verärgert, dass dieser sofort die Kündigung einreicht.

An dieser Stelle können und sollen nicht alle Details erläutert werden, aber ich möchte schon jeweils die Einflussfaktoren ein wenig näher kennzeichnen. Bei den Merkmalen des Mitarbeiters spielen Persönlichkeitsfaktoren wie Offenheit genauso eine Rolle wie seine qualifikatorische Passung zur Stelle oder die erbrachte Leistung. Bei den Merkmalen der Arbeitsstelle geht es um Fragen der arbeitsbezogenen Rollendefinition, typischerweise auftretende Stressfaktoren oder die Nachvollziehbarkeit und Angemessenheit der Aufgaben. Bei den Merkmalen der Organisation geht es natürlich um das Gehaltsniveau und das Gehaltssystem, aber ebenso um den Umfang der Anerkennung, der Partizipationsmöglichkeiten oder der wahrgenommenen mikropolitischen Spiele. Der Aspekt der sozialen Interaktionen verweist auf das Betriebsklima, auf wertschätzende Interaktionen (oft macht der Ton die Musik) im bzw. zwischen Teams wie auch auf als hilfreich erlebte Netzwerke. Bei der Führung stehen die Führungsstile im Vordergrund, die Beziehungsqualität zum Vorgesetzten bzw. die wahrgenommene Wertschätzung seitens des Führenden. Andere Lebensbereiche spielen bekanntermaßen für arbeitsbezogene Emotionen und Wahrnehmungen eine Rolle. So wissen wir schon lange, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit nennenswert mit der Arbeitszufriedenheit korreliert, aber auch auftretende Konflikte zwischen Arbeit und Freizeit sowie die Bewertung des Arbeitgebers durch wichtige Bezugspersonen hier bedeutsam sind. Unmittelbar einleuchtend ist schließlich, dass die (Umfeld-)Bedingungen des Arbeitsmarktes (Arbeitslosenquote, offene Stellen) und Anfragen von beispielsweise Headhuntern Einfluss auf die Einschätzung des Stellenwertes der eigenen Organisation haben.

Herausgestellt werden von den Entwicklern dieses Rahmensmodells mit Blick auf die tatsächliche Fluktuation (also über die Fluktuationsabsicht allein hinausgehend), dass eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen beruflichen Karriere sowie allgemein mit dem Leben einen besonders starken Einfluss, und zwar einen negativen, auf die Fluktuation besitzen, ebenso die individuelle Verfügbarkeit von Coping-Strategien, um mit den Arbeitsanforderungen bestmöglich umgehen zu können, Anerkennungsformen, die über das Gehalt hinausweisen, wie schließlich auch die erlebte Passung der eigenen Person mit den Anforderungen der Stelle.

Ganz wichtig zu wissen ist es, dass es nicht nur um die absoluten Ausprägungen der oben herausgestellten Größen geht, sondern dass deren Entwicklung im Zeitverlauf bereits selbst ein wichtiger Indikator für Fluktuation ist und deshalb sehr aufmerksam beobachtet werden sollte. Wenn also das Commitment plötzlich drastisch sinkt, so bedeutet dies für die Führungskraft höchste Alarmbereitschaft, verbunden mit einem schnellen und umfassenden Umfeldscanning.

Indikatoren einer Bewegung hin zur Fluktuation

Natürlich hat sich die Wissenschaft auch mit der Frage beschäftigt, ob man eine kommende Kündigung ex ante als Führungskraft erfassen kann. Hier hat ein Forschungsteam um Timothy Gardner von der Utah State University, USA, in 2018 Theorie und Empirie gestützt einen Fragebogen publiziert, genannt „Pre-Quitting Behaviors“ (PQBs), der ein auf Abwanderung hinweisendes Verhalten des Mitarbeitenden mittels 13 Fragen erfasst. Dazu zählen ein sich verschlechterndes Arbeitsverhalten ebenso wie eine zunehmende Unzufriedenheit. Sinngemäße Beispiele: Der Mitarbeiter erledigt nur das Nötigste und seine Leistungen nehmen insgesamt ab, arbeitsrelevanten Dingen wird weniger Konzentration als früher beigemessen oder das Interesse, die Führungskraft zufriedenzustellen, ist gesunken. Ferner gehören dazu negative Einstellungsänderungen, etwa abnehmendes Interesse an Kundenkontakten oder verstärkte Äußerungen über Unzufriedenheiten mit dem eigenen Job.

Handlungsempfehlungen zur Minimierung der Fluktuation

Wir haben gesehen, dass verschiedene Einflussfaktoren unter besonderer Beteiligung von Emotionen auf die Fluktuationsabsicht und manchmal auf die Fluktuation direkt einwirken. Nicht aus jeder Absicht wird eine Handlung, aber die Zusammenhänge sind so nennenswert, dass man hier nicht auf eine automatische Lösung ohne eigene Beteiligung vertrauen sollte.

Das obige Rahmenmodell bietet ein gutes Suchfeld für mögliche Probleme des Verbleibs von Mitarbeitenden. Es weitet die Sicht der Führungskraft und sollte immer wieder einmal zur Bestandsaufnahme der Arbeitsbedingungen, anlässlich besonderer Ereignisse oder zum Nachdenken über den sozialen Zusammenhalt genutzt werden. Offensichtlich ist dabei, dass die Führungskraft so lange eine subjektive Einschätzung vornehmen muss, bis ein Teammitglied von sich konkret anspricht, was ihn beunruhigt, belastet oder auch nur als nur als beständig nervig empfunden wird.

Natürlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass einiges von dem, was Wechselabsichten generiert, weder im Einflussbereich der Organisation noch der Teamleitung ist, denken wir an einen Wegzug aus privaten Gründen oder ein unschlagbares Angebot von einem anderen Arbeitgeber, der in einer „anderen Liga“ spielt und Perspektiven eröffnet, die beim jetzigen Arbeitgeber schlicht nicht zu realisieren sind. Doch Vorsicht: Vieles funktioniert nicht, weil die Geschäftsführung nicht bereit ist, neue Wege zu gehen, die gerade Top-Performer/innen und junge Talente ansprechen. Damit ist meistens der Anfang vom Ende vorgezeichnet. Gehaltserhöhungen oder nette Titelbezeichnungen, uninspirierte Antworten mit Blick auf die intrinsische Motivation,  befriedigen diese Gruppen nicht auf Dauer – wenn überhaupt.

Kluge Führungskräfte versuchen, die Information, die sie für ihre Einschätzung der Wechselabsichten benötigen, durch andere Kanäle zu gewinnen. Persönliche Gespräche sind hier extrem wertvoll, insbesondere solche, die die Zukunftsperspektiven des Mitarbeitenden betreffen. Allgemeine Einschätzungen der Lage durch Mitarbeiterbefragungen (ggf. sogar in Echtzeit) erlauben zwar keine individuelle Rückmeldung, repräsentieren aber schon eine Stimmungsrichtung, aus der heraus man über Wahrscheinlichkeiten von Wechseln im Team zumindest begründeter spekulieren kann. Und dann sind da noch die Austrittsinterviews mit denjenigen, die wirklich gehen (oder gegangen sind!), aus denen man zumindest zukunftsbezogen Lehren ziehen kann.

Während das oben Gesagte vor allem methodische Wege aufzeigt, Fluktuationsabsichten zu reduzieren und Fluktuation zu minimieren, bleiben der Führung hierzu überdies die immerwährenden Konstanten, sprich: attraktive Führungsbeziehungen, als befriedigend erlebte Kooperationen und insgesamt eine Organisation, die sich von anderen Organisation positiv abhebt. Die Befriedigung von Sicherheitsbedürfnissen gehört genauso dazu wie die Befriedigung sozialer Bedürfnisse und die Aussicht, sich persönlich zu entwickeln und beruflich voranzukommen, was immer das für den Einzelnen heißen mag.

Wie alle wissen, sind heutige Karrierevorstellungen durchaus pluralistischer, als sie früher einmal waren, und die Ansprüche an Führungskräfte und die Organisation sind es auch. Damit sind wir bei dem Thema gute Führung, also erfolgreiche und ethische Führung (Kuhn/Weibler 2020), wie auch bei den Voraussetzungen einer lebendigen Organisation angelangt, für die es sich lohnt, morgens gerne aufzustehen. Die, die dies jeden Tag für sich in ihrem Umfeld positiv entscheiden, um tagsüber das Team und die Organisation nach vorne bringen, sind die Mitarbeitenden und Führungskräfte, mit denen man gerne zusammenarbeitet und die man gerne auch längerfristig halten möchte. Aber es sind eben auch die, die die Wahl haben.

Ein Letztes

Treffen viele zusammen, die die Wahl haben und problemlos anderswo mitspielen könnten, und die sich dennoch entscheiden, ihre Arbeit in eben dieser Organisation, in eben diesem Team, zu verrichten, dann kann Großartiges entstehen. Seien Sie als Führungskraft Teil von dem, das dazu beiträgt, Großartiges entstehen zu lassen, weil auch sie die Wahl haben, woanders mitzuspielen, aber alle sich freuen, dass Sie sich für genau dieses Spielfeld entschieden haben.

BA – Bundesagentur für Arbeit (2021): Der Arbeitsmarkt in Deutschland 2020, Amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, 68. Jahrgang, Sondernummer 2 (nach IW-Kurzbericht, 82.2021 (Schmidt, J.)

DGB (2019) DGB-Index Gute Arbeit kompakt. https://www.dgb.de/themen/++co++81b08f4e-1f0e-11e9-bf54-52540088cada. Zugegriffen: 18.01.2022
Gardener, T. M. u.a. (2018): If You’ve Got Leavin’ on Your Mind: The Identification and Validation of Pre-Quitting Behaviors. In: Journal of Management, 44(8), 3231-3257

Häfner, A. / Truschel, C. (2022): Fluktuationsmanagement, Göttingen

Kuhn, T. / Weibler, J. (2020): Bad Leadership, München